Die Autorin und Journalistin Katja Kullmann gräbt unermüdlich in den Fundamenten der Popkultur nach fossilierten Geschlechterrollen. In "Generation Ally" von 2002 klopfte sie das Selbstverständnis der in den 80er-Jahren geborenen Frauen ab. In ihrem aktuellen Buch "Die singuläre Frau" feiert sie das Langzeit-Single-Dasein.
SZ: Was lesen Sie gerade?
Katja Kullmann: Aktuell lese ich "Geschichten der übelsten Sorte", eine Sammlung von Prosa-Miniaturen von Garielle Lutz. In den USA ist sie als Indie-Autorin bekannt, 2021 outete sie sich als trans Frau. Erstmals hat nun der Berliner Weissbooks Verlag Lutz' Geschichten auf Deutsch herausgebracht. Es handelt sich um vibrierende, nervöse Texte, kleine Alltagsbeobachtungen voller schräger Wortschöpfungen und überraschender Metaphern: Straßen "versackgassen", Menschen haben einen "Süßigkeitenatem" oder strahlen "eine nachlässige, fleckige Freundlichkeit" aus. Das ist alles ziemlich toll, dem Übersetzer Christophe Fricker gebührt großer Respekt.
Welches Buch hassen Sie, schätzen aber den Autor?
Ganz schlimm sind für mich "Die Riesenzwerge" von Gisela Elsner aus dem Jahr 1964. Ich stehe ansonsten sehr auf Elsners schnittige Prosa, ihre kühle, oft auch gallige Garstigkeit. Aber ihr verspieltes Erstlingswerk, dieser angestrengte Kunstwille - nichts für mich! Das erinnert an den streberhaften Sound sogenannter Institutsliteratur: Wenn junge Menschen glauben, ein Text müsse verrätselt oder auf Biegen und Brechen poetisch daherkommen, damit er das Attribut "Literatur" verdient - was für ein dämliches Missverständnis!
Welche Figur aus einem Roman oder überhaupt einem Buch fällt Ihnen immer wieder ein?
Es mag ein wenig Selbstverkitschung sein, aber ich bilde mir ein, eine ganz persönliche Seelenverwandtschaft zu den Figuren von Jörg Fauser zu entdecken. All die chronisch abgebrannten, leicht melancholischen oder dunkel selbstironischen Männerfiguren bei Fauser - die berühren mich. Von seinem literarischen Alter Ego, dem ehrgeizigen Junkie Harry Gelb, bis zum verkrachten Journalisten Johnny Tristano aus der Erzählung "Alles wird gut": Das sind Einzelgänger mit Ansage. Dennoch wollen sie heimlich immer auch dazugehören, zum großen Ganzen.
Die interessanteste "singuläre Frau" in einem Roman?
Es sind gleich mehrere auf einmal, sie tragen die Namen von sogenannten Frauenmagazinen, Barbara, Verena, Tina, und sie sind die Heldinnen in Jovana Reisingers Episodenroman "Spitzenreiterinnen". Reisinger schreibt etwa über eine Witwe, eine Langzeit-Single-in und über eine Frau, die vor ihrem gewalttätigen Gatten flieht. Ein hellwacher Roman, der sich auf intelligente Weise auch mit dem Thema Älterwerden als Frau auseinandersetzt, und das, obwohl die Autorin vergleichsweise jung ist, gerade erst Anfang dreißig.
... und die langweiligste?
Carrie Bradshaw, Carrie Bradshaw und Carrie Bradshaw. Wahrscheinlich wollte die US-Autorin Candace Bushnell 1997 mit ihrem "Sex and the City"-Roman einen Beitrag zu einem neuen weiblichen Selbstbewusstsein leisten. Vom Anbruch einer postfeministischen Ära schwärmten damals viele, und genau dafür stand die Hauptfigur Carrie: superschlank, stets gestylt, sexy und süß, dabei durchaus schlagfertig - in Wahrheit aber doch nur auf der hektischen Suche nach dem Richtigen. Bis Carrie endlich ihren Mister Big findet und ihn zur Ehe überreden kann. Zur Hochzeit schenkt er ihr einen maßgeschreinerten begehbaren Kleiderschrank, und Carrie verschwindet darin. Eine neoliberale Prinzessinnen-Story - erst ein Vierteljahrhundert alt, aber im Kern genauso enttäuschend wie alle Aschenputtelmärchen aus den Jahrhunderten davor.
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