Vorschlag-Hammer:Zeit in der Flasche

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Wie lässt sich unser Leben nachhaltig entschleunigen? Der Sozialwissenschaftler Fritz Reheis schlägt "revolutionäre Pause" vor

Kolumne von Antje Weber

Schneller, höher, weiter - immer schneller produziert, transportiert, kommuniziert unsere Gesellschaft. "Wir gehorchen dem Steigerungsprinzip", beschreibt der Coburger Sozialwissenschaftler Fritz Reheis das bekannte Phänomen in seinem neuen Buch "Die Resonanzstrategie". Gleichzeitig, schreibt er, treibe uns die Frage nach dem Wohin um: "Die Zweifel am Ziel unserer Anstrengungen lassen sich längst nicht mehr verdrängen." Sein Vorschlag: nachhaltige Entschleunigung. "Revolutionäre Pausen", so hofft er, könnten uns helfen, die angemessene Geschwindigkeit im Leben wiederzufinden. "Tagträume, Mußestunden und längere Auszeiten" könnten zu Keimen des Widerstands werden.

Nach solchen heutzutage vielleicht tatsächlich revolutionären Ideen möchte man ja eigentlich keine Aktivitäten mehr fürs Wochenende vorschlagen, sondern höchstens die Lektüre eines guten Buchs. Doch man kann sich natürlich auch tiefenentspannt hier und da anregen lassen. Zum Beispiel vom ersten Italienischen Literaturfestival Il Fest, das bis Sonntag viel Programm in der Pasinger Fabrik aufbietet. Oder von der Uraufführung Hochdeutschland in den Kammerspielen, nach einem Roman von Alexander Schimmelbusch, der schön böse überspitzend von den Ideen eines Investmentbankers für eine neue Gesellschaft erzählt (zweite Vorstellung am 27. Mai). Zeit nehmen könnte man sich auch für das Jubiläumswochenende des Museums Brandhorst. Unter dem Motto "Forever Young" will die Jubiläumsausstellung "Pfade ins Jetzt" aufzeigen, mit den Stichworten "Identitätspolitik, Digitalisierung, Subjekte im Spätkapitalismus". Bei diesen Begriffen schlägt der Puls mancher Subjekte gleich wieder schneller, wogegen vielleicht die angekündigten "Workouts mit Warhol" in Zusammenarbeit mit dem Boxwerk helfen. Denn auch Andy Warhol hielt sich fit und geschmeidig - schneller, höher, härter!

Da würde Lucky Luke nur versonnen lächeln. Der Comic-Cowboy zieht den Colt bekanntlich ohne jedes Training schneller als sein Schatten, auch in der Hommage des Zeichners Mawil (Ausstellung von 4. Juni an im Institut Français). Doch, ja, wie wäre es mit einer Pause, die das Leben wirklich nachhaltig verändern könnte? Wer dafür bereit ist, der suche nach dem unsterblichen Lied "Time in a Bottle" von Jim Croce, ob auf LP, CD oder Youtube. Und höre dem einstigen Lagerfeuerromantik-Helden zu, wie er 1973 mit knisternder Stimme sang: Nie scheine man genug Zeit zu haben für alles, was man tun wolle - wenn er aber Zeit in einer Flasche sammeln könnte, dann würde er jeden einzelnen Tag aufsparen, um ihn mit einem geliebten Du zu verbringen. Einfach nur für die Liebe leben? Revolutionär!

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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