Vorschlag-Hammer:Keine Angst vor Lyrik

Lesezeit: 2 min

Noch haben wir es in der Hand, uns poetisch weiterzubilden. Zum Beispiel auch mit der neuen Ausgabe der Münchner Zeitschrift "Krachkultur", die sich diesmal ganz der Lyrik widmet

Kolumne von Antje Weber

Fürchtet Mörder und Ganoven,/ Fürchtet Schlaue wie die Doofen. / Doch wer fürchtet, der vergisst, / Dass die Angst am schlimmsten frisst,/ Wenn es Angst vor Lyrik ist." Diese Zeilen gibt Moritz Hürtgen den Lesern seines Bands "Angst vor Lyrik" (Kunstmann) als Geleit mit. Und dann dichtet er munter drauf los, über Ängste von A bis Z: die Angst vor Ärzten, vor Gewittern, vor der Wahrheit. Die größte Angst aber, das ist die reine Reime-Wahrheit, bleibt die vor den Gedichten selbst.

Der junge Dichter und Titanic-Chefredakteur Hürtgen tritt mit seinen zum Teil sehr komischen Versen natürlich an, um sich selbst zu widerlegen. Genauer kann man sich das von ihm am 12. Dezember erklären lassen, wenn er im Heppel & Ettlich liest. Das könnte man dann schon als das vorweihnachtliche Ende dichter Lyrik-Wochen bezeichnen, die selbst mutige Poesiefans aufs Äußerste fordern. Denn zunächst gilt es, 30 Jahre Lyrik Kabinett zu würdigen, unter anderem anhand einer gewichtigen Jubiläums-Publikation, die dem titelgebenden Zitat des Dichters Jaime Gil de Biedma nachspürt: Im Grunde wäre ich lieber Gedicht. Eine spannende Frage: Inwieweit ist man nach der Lektüre unzähliger Texte, von Sarah Kirsch bis Monika Rinck, selbst zum freien Vers mutiert? 432 Seiten Gedichte, das ist je nach Perspektive also das geeignete Gegengift zur Lyrik-Angst - oder doch ein bisschen furchteinflößend.

Da nun setzt Christian Metz an: "Poetisch denken" (S. Fischer) lautet sein Aufruf, den er auf mehr als 400 Seiten auch nicht gerade kurz begründet. Seit August ist der Literaturwissenschaftler und -kritiker als Stipendiat der Humboldt-Stiftung an der LMU tätig. Vom Bereich Germanistik läuft man nicht weit ins Lyrik Kabinett, und so kann man sich dort beim Lyrischen Quartett am 11. Dezember ein Bild davon machen, was Metz unter poetischem Denken versteht. Er ist sich jedenfalls sicher: "In Zukunft wird man die ersten zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts als Blütezeit der deutschsprachigen Lyrik bestaunen", mit virtuosen Dichtern von Ann Cotten bis Steffen Popp. Und die Frage an uns alle werde in dieser Zukunft lauten: "Wie war das damals eigentlich? Du warst doch dabei!"

Will man dann zugeben: Ich habe damals nur Romane gelesen? Oder lässig entgegnen: Ach, weißt Du, mir lag Rincks theoriedurchdrungene Affekt- und Liebeslyrik ja immer etwas näher als Cottens idiosynkratischer Planetarismus und Popps sensorische Elementarteilchenpoesie? Noch haben wir es in der Hand, uns poetisch weiterzubilden. Zum Beispiel auch mit der neuen Ausgabe der Münchner Zeitschrift Krachkultur, die sich diesmal ganz der Lyrik widmet. "Ihre Widerstandskraft bleibt unübertroffen", behaupten die Herausgeber, und: "Wir sind gekommen, um zu bleiben." Jetzt bloß keine Angst zeigen!

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: