Vorschlag-Hammer:Jazz mal ganz entspannt

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Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark Social Media und Internet-Foren offenbar nicht nur Spinner oder Extremisten, sondern auch sonst umgängliche Menschen dazu verführen, jeden Hauch von Respekt und Selbstreflexion fahren zu lassen

Kolumne von Oliver Hochkeppel

Ich bin manchmal altmodisch. Zum Beispiel, was Social Media angeht. Weder habe ich einen Facebook-Account, noch bin ich bei Instagram, noch twittere ich. Deshalb habe ich auch erst mit leichter Verspätung mitbekommen, dass ein Musiker auf Facebook eine ausführliche, widersprechende Analyse einer meiner Kritiken gepostet hat (geschätzte 200 Zeilen gegen meine 50, das ist fast schon unfair). Alles völlig in Ordnung, ein paar berechtigte Einwände, ein paar Missverständnisse, was die journalistische Aufgabenstellung angeht, das alles hätte man mit Gewinn vertiefen können, etwa zu Fragen von Traditionspflege und Innovation im Jazz.

Nicht in Ordnung war hingegen die dazu eingehende Flut an Kommentaren. Eine Woge von Häme und Schmähungen ergoss sich da gegen den "Schreiberling" - übrigens eine seinerzeit von den Nationalsozialisten eingeführte Herabsetzung von Journalisten. Die meisten Einträge stammten von anderen Musikern. Fast keiner von ihnen hatte das besagte Konzert besucht, was ja doch irgendwie die Voraussetzung für einen fundierten Diskussionsbeitrag gewesen wäre. Und viele unter ihnen hatten dem Kritiker früher gerne Honig ums Maul geschmiert, wenn er über sie zu schreiben hatte.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark Social Media und Internet-Foren offenbar nicht nur Spinner oder Extremisten, sondern auch sonst umgängliche Menschen wie dich und mich dazu verführen, jeden Hauch von Respekt und Selbstreflexion fahren zu lassen. Das ist - abgesehen von Zeitmangel und Faulheit - der wichtigste Grund, warum ich nicht mitmache. Sich ständig aufregen und ärgern zu müssen, kann doch nicht wirklich erstrebenswert sein. Beschließen wir das also mit dem Wunsch des Analytikers, sich zu entspannen und die Musik zu genießen. Dazu gibt es in den kommenden Tagen reichlich Gelegenheit, zum Beispiel beim Trompeten-Großmeister Nils Wülker im Duo mit dem herausragenden Gitarristen Arne Jansen (27. November) oder bei den intimen Songs der grandiosen Pianistin und Sängerin Patricia Barber (28. November) in der Unterfahrt. Oder beim Auftritt des jungen neuen Gitarrengotts Philipp Schiepek in der Bar Gabanyi (28. November). Oder bei der Sause des unermüdlichen Klaus Doldinger mit seiner dynamischen Passport-Crew im Prinzregententheater (28. November). Oder - das allerdings vielleicht etwas weniger entspannend als vielmehr aufregend und wild - beim Holzblas-Athleten Gebhard Ullmann und dem Quartett Chicago Plan im MUG des Einstein Kulturzentrums (1. Dezember). Und um gewisse Kommentatoren zu beruhigen oder sogar zu befriedigen: Nichts davon werde ich rezensieren.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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