Volkstheater-Premiere:Macht macht Sklaven

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Mehmet Sözer zieht Magdalena Wiedenhofer, Luise Deborah Daberkow und Jakob Immervoll. (Foto: Arno Declair)

Sankar Venkateswaran inszeniert am Volkstheater "Indika", eine Mischung aus Parabel, Mythos, Politiklehrstunde und vor allem eins: ein echtes Kunstwerk

Von Egbert Tholl

Vor 17 Jahren war Christian Stückl mal wieder in Indien, traf dort Sankar Venkateswaran, und der erzählte ihm viel über Heiner Müller. So beginnen Theaterbegegnungen. Zu der Zeit, als Stückl ihn traf, war Venkateswaran gerade Student an der "School of Drama" in Kerala, das ist, wenn man auf eine Karte des indischen Subkontinents schaut, unten links. 17 Jahre sind eine lange Zeit, in der sich Stückl und Venkateswaran auch mal aus den Augen verlieren. Dann finden sie sich wieder, der indische Theatermann ist Artist in Residence in Zürich, Stückl lädt ihn nach Oberammergau ein, Venkateswaran umgekehrt Stückl nach Indien. Dort baut Venkateswaran ein Theater, viele Stunden von der Zivilisation entfernt, ein Theater aus Bambus und für jene, die im indischen Kastensystem vermutlich nie Theater zu sehen kriegen.

Im Sommer vergangenen Jahres inszeniert Venkateswaran dann am Münchner Volkstheater, einen winzigen Ausschnitt aus dem riesigen indischen Urepos "Mahabharata", den er "Tage der Dunkelhiet" nennt. Danach konnte man Venkateawaran wieder in Zürich treffen, beim Theaterspektakel dort. So wird es auch diesen Sommer wieder sein, doch erst einmal kam seine zweite Inszenierung am Volkstheater heraus, "Indika".Diesmal stammt der Text nicht aus dem "Mahabharata", Venkateswaran hat ihn selbst geschrieben, unter Rückgriff auf alte Mythen, Erzählungen und das "Arthashāstra", ein indisches Kompendium, das erklärt, wie Staat, Macht und Gesellschaft funktionieren. Der Text ist nicht gerade freundlich gegenüber dem normalen Volk, eher wirkt er wie eine Anleitung zur Diktatur inklusive harter Bürokratie, Geheimdienst, Unterdrückung und Beobachtung beziehungsweise Eliminierung der Feinde im In- und Ausland. Der Titel heißt übersetzt "Lehrbuch der Macht" und die verschiedenen Quellen sind 2000 Jahre alt, plus-minus 300 Jahre. Entsprechend fremd wirkt das Ganze.

Venkateswaran macht kein niedliches Folkloretheater, das einem exotische Weisheiten aus dem alten Indien unterjubelt. Nein, er macht Kunst, mit aller Konsequenz. Das heißt auch, dass für ihn der Körper ein gleichberechtigtes Ausdrucksmittel neben der Sprache ist. Manchmal denkt man sich sogar, am liebsten wäre es ihm, er könnte alles über den Körper erzählen, aber das würde bei diesem Stoff wohl kaum funktionieren, dazu ist die Materie zu kompliziert. Man weiß ja ohnehin nach knapp eineinhalb Stunden Aufführung kaum, was man da nun hätte begreifen sollen. Das seltsame dabei ist aber: Es macht nichts. Aus zeitlich naheliegenden Gründen denkt man unweigerlich an Arbeiten von Romeo Castellucci und die Fähigkeit von Theater, etwas im Zuschauer zu bewirken, was dieser selbst gar nicht genau in Worte fassen kann.

Gleichwohl gibt es bei "Indika" auch eine Geschichte, die man erzählen kann. Aber ist sie der Kern der Wahrheit dieses Abends? Der Text, den Venkateswaran schrieb, umhüllt das politische Traktat mit Historie: Alexander der Große dringt mit seinem Heer bis nach Indien vor, dort kommt es zu wechselnden Allianzen mit dem Feldherren aus Makedonien, aus denen Candragupta Maurya als Sieger hervorgeht, ein neues Reich in Indien und mit sich selbst dessen Herrscherdynastie begründet. Irgendwann jedoch hat er vom Herrschen genug, er entsagt "seinem Reich, seinem Palast, Thron, seiner Stadt, seinen Ehefrauen und Konkubinen, Ministern und Untertanen, Kriegsgeräten und Kriegstieren, entsagt gar seiner Kleidung und beginnt zu laufen, läuft 3000 Meilen südwärts, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzublicken". Er findet Ruhe, Frieden und hungert sich zu Tode.

Imperien brauchen Sklaven, sonst funktionieren sie nicht. Im hohen Ton eines Epos' künden die sieben Darsteller davon, erzählen von Alexander und dessen Feldherren Seleucos, von den indischen Strategen und wechseln sich ab in der Darstellung der Figuren. Diejenigen, die die Macht haben, machen sich selbst zu deren Sklaven, ordnen ihr privates Glück dem Herrschen unter. Vom Volks braucht man gar nicht reden, das wird eh nicht gefragt.

Venkateswaran erfindet Strukturen, in denen die Figuren engen, abgezählten Abläufen unterworfen sind. Auf der Bühne ist nicht mehr als ein halb offener Kasten, von Günther E. Weiss so grandios beleuchtet, als würde er schweben. Pascal Fligg, hier eine Art Spin Doctor der Macht, und Magdalena Wiedenhofer sind die Säulen der Darstellung, schön und aufrecht, klar und gut, zwischen denen die jungen Ensemblemitglieder erkunden, wie es ist, sich Abläufen unterzuordnen, die von der metallisch harten, ungemein beeidruckenden, quasi im Moment entstehenden Musik von Lin Wang strukturiert werden. Manche hadern da noch arg mit ihrem frei vagierenden Überschwang, dennoch geht es dicht und so formal zu, wie es mit den jungen Darstellern geht. Dann tritt Nina Steils aus dem Gefüge, kommentiert das Geschehen, der Abend kriegt Luft - und sie ist eine eigenwillige Verheißung für die Zukunft.

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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