Grillo-Theater Essen:Tag der Abrechnung

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Aktionstheater: In "Aufruhr" geht es um die städtische Kluft zwischen Arm und Reich - und um nicht weniger als die Rettung der Welt. (Foto: Birgit Hupfeld)

In Volker Löschs "AufRuhr" am Grillo-Theater Essen laufen Aktivisten gegen ein Investorenprojekt Sturm.

Von Martin Krumbholz

"AufRuhr" könnte fast jedes Projekt von Volker Lösch und seinem Autorenteam (Christine Lang und Ulf Schmidt) heißen, nur ohne das groß geschriebene R in der Mitte. Denn Lösch versteht sich als dezidiert politisch intervenierender Theatermann, der den behaglichen Rahmen eines Kunsttempels (oder auch eines klassischen Textes) sprengt, um jenseits des herkömmlichen Rollenspiels Aktivisten zu Wort kommen zu lassen mit all den Themen, die ihnen auf den Nägeln brennen. Im Essener Grillo-Theater fängt es schon damit an, dass der lange schmale Saal leergeräumt und in eine Raumbühne verwandelt wird, mit vielen großflächigen Screens an den vier Wänden. Kleine Filme, Videostatements von jungen Aktivisten, live gefilmte Videos und klassisches Theaterspiel verbinden sich zu einer komplexen Multimediashow, die Zuschauer sitzen auf Hockern mittendrin. Das ganze Spektakel dauert, mit zwei Pausen, gut drei Stunden.

Im Süden von Essen residieren die Reichen am Baldeneysee. Den Norden kann man abreißen

Der Titel "AufRuhr" bezieht sich auf die Rebellion der Bergleute des Ruhrgebiets im Jahr 1920, die von Rechtsterroristen im Verbund mit der Reichswehr niedergeschlagen wurde - ein Vorgeschmack auf das, was 13 Jahre später beginnen sollte. Aber Lösch & Co haben natürlich primär zeitgenössische Konflikte im Auge. Die Schere zwischen Reich und Arm bildet sich in der Ruhrmetropole Essen quasi geografisch ab, die Wohlhabenden im Süden, am idyllischen Baldeneysee in ihren Villen sitzend (die berühmte Kruppvilla Hügel ist nur eine davon), kommen mit den prekär im Norden Hausenden nur dann in Berührung, wenn letztere zum Putzen oder im Auftrag eines Lieferdienstes vorbeischauen. Am Anfang des Abends sieht man die Investorin van Velt (Janina Sachau) in einem Helikopter buchstäblich über allem schwebend: Den Norden renovieren? Ach was, den reißt man am besten einfach ab und ersetzt ihn durch das renditeträchtige Investorenprojekt "Essen 5.0", 20 000 neue Wohnungen für 60 000 Menschen oder so. Dann beißt die vegan lebende van Velt in eine Mohrrübe, knack.

Polizisten gegen Aktivisten und vermeintliche "Linksfaschisten": Die Inszenierung spielt auch Räuber und Gendarm. (Foto: Birgit Hupfeld)

Der kritische Blick auf die Gemengelage, das rein monetäre Interesse der Investoren, den Wankelmut der Stadtoberen und des Bürgermeisters Kühn (Stefan Migge), ist nachvollziehbar. Leider lassen Lang, Lösch und Schmidt sich dazu hinreißen, im kreativen Rausch einer überschießenden Fantasie eine wüste Story zu ersinnen, die sich spätestens im dritten Teil geradezu wildwestmäßig zuspitzt: Der "Tag der Abrechnung" sei gekommen, verkündet der Polizeikommissar Reich, mit immer schwererem Gerät rücken seine Truppen gegen die "Linksfaschisten" vor - damit sind die meist jungen Rebellen gemeint, die das Projekt "Essen 5.0" nicht mögen und auch schon einige Häuser besetzt haben, aus denen sie zwangsgeräumt werden sollen. Ein anarchistischer Rentner schließt sich ihnen an, ein Hacker sabotiert den "ungeschützten Mailverkehr" der Stadtregierung und der Investoren, der Konflikt spaltet symbolisch die Familie der Bauunternehmerin Haussmann (Laura Sundermann) - ein beliebter Topos von Lang, Lösch und Schmidt.

Interessanter und berührender als dieses etwas hysterische Räuber-und-Gendarm-Spiel sind die im Video zugespielten Statements der teils sehr jungen Aktivisten, die sich allerdings nur vage mit dem Thema des Abends verbinden lassen, denn den meisten Aktivistinnen geht es zwar um die Rettung der Welt ganz allgemein, speziell aber naturgemäß um den "menschengemachten Klimawandel" (wie der hier nicht sehr beliebte Neu-Bundeskanzler Scholz stereotyp zu sagen pflegt). Eine Dreizehnjährige meint, dreizehn sei doch ein schönes Wahleintrittsalter, zwölf sei noch ein bisschen zu jung. Ja doch, da muss man der jungen Frau wohl recht geben.

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