Vogelwilde Ezyklopädie:Satan Meise

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(Foto: Blumenbar)

Die Brüder Jürgen und Thomas Roth haben eine tiefgelehrte, aber vor allem hochkomische "Kritik der Vögel" vorgelegt. Ist das ungerecht? Was denn sonst! Vom Federvieh schwärmen können die Brüder allerdings auch.

Von Willi Winkler

Warum der Lobpreis der Dichter immer nur der Nachtigall gelte, fragen sich die Brüder Roth, einem Vogel, "bei dem man nicht viel falsch machen kann". Die Herren und Damen Poeten aber, "faul wie die Sau", wie es vom Mäusebussard heißt, sind sich wahrscheinlich zu gut dafür. "Warum nicht ein Sonett über die Singdrossel? Eine Ode an den Sprosser? Ein Roman über die Spottdrossel oder konkrete Poesie im Zeichen der Schilfsänger und Rohrschmätzer?" Das könnte trotz Nora Gomringer noch dauern.

Jürgen und Thomas Roth haben immerhin eine tiefgelehrte, aber vor allem hochkomische "Kritik der Vögel" (Blumenbar, Berlin 2017,

322 Seiten, 24 Euro) vorgelegt. Wer je die philosophische Hintertreppe erklommen hat, wird nicht zögern, diesem Grundbuch im Regal den schmalen Platz neben den drei Kritiken Immanuel Kants einzuräumen. Dies wundersame Aviarium bietet eine bisher unerhörte Enzyklopädie des rätschenden, flügelschlagenden, tirilierenden und formationsfliegenden Volks. Dankenswerterweise gibt es keine ausschweifende Lobhudelei, auch das ornithologische Oberseminar fällt aus, die guten Viecherchen werden aber streng, fast schon Linnésch abgeprüft nach Flugtauglichkeit, Sangeskunst, Literarizität, Balzverhalten. Ist das ungerecht? Was denn sonst! Pinguine? "Geschenke der Hölle." Der Spatz mag vom Aussterben bedroht sein, hier wird er als

"aufgeplusterter, gedrungener, grobschlächtiger, gemeiner, roher Stenz" heruntergeputzt. Tauben, aber wem sagen die beiden das, sind "ethisch bedenklich und ästhetisch eine Zumutung". Die Meise? "Ist das Böse. Satan Meise! Und angesichts ihres schlimmen, ihres besonders schlimmen Tuns wünscht man, die Natur hätte Schopenhauer gelesen, dann würde sie den ganzen Laden dichtmachen." Dostojewski, Tschechow "und Genossen" schreiben übrigens "Nebelkrähenprosa".

Und wie die Brüder dann wieder schwärmen können! Der bereits erwähnte Mäusebussard: "Wie er fliegt, wie er fliegt. Wer ihm nicht die Gunst erwiese und ihn schmähte gar, der sündigte." Ehe wieder die öden Weihnachtsbuchempfehlungslisten kursieren, sei's vogelwild ins Land hinaus gezwitschert: Diese "Kritik der Vögel" ist das Buch des Jahres.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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