Am Ende klang es fast ein wenig so, als bedauere es der Bundesgerichtshof sogar, dass er der "Verwertungsgesellschaft Wort" (VG Wort) und noch mehr den von ihr profitierenden Buchverlagen soeben einen herben Schlag versetzt hatte. "Damit ist eine jahrzehntelange Praxis hinfällig geworden", sagte Wolfgang Büscher, Vorsitzender des ersten Zivilsenats, und fügte hinzu: Ob das nun ein wirtschaftlich sinnvolles Ergebnis sei und ob sich die Autoren mit der Klage gegen die VG Wort wirklich einen Gefallen getan hätten - das sei eine eher politische Frage, jedenfalls keine, die der BGH zu beantworten habe.
Beantwortet hatte der BGH dagegen die Frage, welche die Buchverlage nun schon seit einigen Jahren umtreibt. Darf die VG Wort weiterhin das tun, was sie seit Jahrzehnten tut: die Hälfte ihrer Einnahmen für Zweitverwertungen, die etwa aus den Vergütungen für Kopierer oder aus Bibliotheks-Tantiemen stammen, an die Verlage ausschütten? Das Gericht hat die Frage mit einem sehr kühlen Nein beantwortet. Das Argument ist ein formales: Die VG Wort erzielt ihre Einnahmen dadurch, dass sie die Rechte der Urheber wahrnimmt - die Geräteabgabe ist der pauschal entrichtete Ausgleich für die Beeinträchtigung ihres Urheberrechts durch die nicht kontrollierbare Vervielfältigung der Bücher am Kopierer und Scanner.
Folglich darf die Verwertungsgesellschaft - so der BGH - die Einnahmen daraus ausschließlich an die "Inhaber dieser Rechte" verteilen. Weil aber den Buchverlagen, anders als Musik- oder Filmproduzenten, kein Leistungsschutzrecht für die Herstellung ihrer Bücher zusteht, dürfen sie auch nicht von der Verteilung der Einnahmen profitieren, jedenfalls nicht in der bisherigen Höhe. Kein Recht, kein Geld. "Es darf keine Berechtigten ohne Rechte geben. Und die verlegerische Leistung ist keine Rechtsposition", hatte Thomas von Plehwe, der Anwalt des Klägers, in der BGH-Verhandlung gefordert.
Bei manchen Verlagen steht wegen der Rückforderungen ein Jahresergebnis auf dem Spiel
Das Urteil, das auf die Klage des Wissenschaftsautors Martin Vogel ergangen ist, kam nicht ganz unerwartet. Der Europäische Gerichtshof hatte im vergangenen Herbst in einem belgischen Fall entschieden, dass eine Teilung der Gelder zwischen Autoren und Verlegern in der bisherigen Form nicht mit der EU-Richtlinie zum Urheberrecht vereinbar sei. Die Einnahmen müssten den Urhebern, also Autoren und Übersetzern, zustehen. Man war also gewarnt und konnte trotzdem nicht viel mehr tun, als auf den BGH warten.
In der Buchbranche wird der Spruch aus Karlsruhe nun mit einigem Entsetzen aufgenommen. Was insofern nicht verwunderlich ist, als es um 30 bis 40 Millionen Euro pro Jahr geht, die in den vergangenen Jahren von der VG Wort an die Verlage ausgeschüttet worden sind. Ein bitterer Tag für die Verlage, resümiert Alexander Skipis, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. "Das wird zu einem tiefen Einschnitt in die Verlagslandschaft führen, weil die kleinen und mittleren Verlage das kaum überleben können." Auch deshalb, weil die VG Wort die Ausschüttungen der vergangenen Jahre - seit 2013 wurden sie nur unter Vorbehalt gezahlt - nun werde zurückverlangen müssen. "Wir gehen davon aus, dass es Rückforderungen geben wird", sagt Skipis. Ein "erheblicher Brocken", bei manchen Verlagen stehe ein Jahresergebnis auf dem Spiel.
Peter Kraus vom Cleff, kaufmännischer Geschäftsführer des Rowohlt-Verlags, sieht die friedliche Koexistenz mit den Autoren gefährdet: "Dieses Urteil ist insofern katastrophal, als das seit Jahren gute Miteinander von Urhebern und Verlagen zerrüttet wird. Es weckt nun Ansprüche, die so nie intendiert waren, als man die VG Wort schuf." Susanne Schüssler, Leiterin des Verlags Klaus Wagenbach, fürchtet gar, dass am Ende niemand von dem Urteil profitieren wird. "Es wird auf keinen Fall so sein, dass die Autoren mit mehr Geld rechnen können: Die die vergütungspflichtigen Geräte herstellenden Konzerne werden mit dem Verweis auf das Urteil ihre Abgabe drastisch reduzieren. Und ohne die Verlage haben die Autoren noch weniger Gewicht gegen die übermächtigen Konzerne." Peter Kraus vom Cleff verweist auf das Beispiel Belgiens, wo die Geräteindustrie bereits versuche, die Zahlungen an die Autoren massiv zu reduzieren. "Dieses Urteil kann zu einem Pyrrhus-Sieg für die Urheber werden."
Vielleicht nicht. Es ist derselbe erste BGH-Zivilsenat, der seit vielen Jahren die Geräteabgaben gegen den Widerstand der Industrie durchgesetzt hat. Und im aktuellen Verfahren hat das Gericht zu erkennen gegeben, dass es ihm allein um die Aufteilung der VG-Wort-Einnahmen zwischen Autoren und Verlagen ging. Zweifel daran, dass der Ausgleich insgesamt zu hoch sei, hätten die Richter nicht erkennen lassen, sagt Thomas Winter, der die VG Wort in Karlsruhe vertreten hat.
Juristisch ist nun unklar, ob es nicht doch noch Spielraum gibt, den Verlagen wenigstens einen Anteil an den VG-Wort-Einnahmen zuzugestehen - beispielsweise über eine teilweise Abtretung der Ansprüche von Autoren, die jedenfalls nicht einhellig von den Konsequenzen des BGH-Urteils begeistert sein dürften. Die VG Wort selbst äußerst sich nicht und will die schriftliche Begründung abwarten.
Man muss die Gesetzeslage anpassen, nicht aber die Praxis der Verwertungsgesellschaft
Politisch jedenfalls scheint der Wille zu bestehen, den Verlagen entgegenzukommen, das hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) signalisiert. "Niemand in der Politik will eine Schwächung der Verlage", hatte der C. H. Beck-Verleger Hans Dieter Beck in der BGH-Verhandlung im März gesagt. Entsprechend äußert sich auch Jonathan Landgrebe, der Vorstand der Suhrkamp AG: "Letztlich geht es in der VG Wort ja um ein Zusammenwirken von Autoren und Verlagen, gerade auch gegenüber der Geräteindustrie. Hier ist es darum ausnahmsweise so, dass die Gesetzeslage angepasst werden sollte, nicht aber die Praxis der VG Wort." Die Crux ist jedoch: Lässt sich das Problem auf nationalem Weg lösen? Oder ist eine Änderung auf EU-Ebene notwendig? "Es ist allein Sache des Gesetzgebers, ob und inwieweit die verlegerische Leistung Schutz genießen soll", sagte der BGH-Senatsvorsitzende Büscher bei der Urteilsverkündung. Ob er damit Berlin oder Brüssel meinte, blieb offen.
Alexander Skipis hält die Einführung eines deutschen Leistungsschutzrechts für denkbar. Doch der europarechtliche Spielraum dürfte gering sein. Maas hatte zusammen mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) einen Brief an den für Urheberrecht zuständigen EU-Kommissar Günther Oettinger geschrieben, mit dem Vorschlag, das EU-Recht für eigene Regelungen der Mitgliedsstaaten zu öffnen. Skipis glaubt, dass die Kommission den Verlagen entgegenkommen wird - darauf deuteten Gespräche mit Oettinger hin: "Der Wille auf EU-Ebene ist da."
Bleibt der Zeitfaktor. Bis eine EU-Richtlinie geändert ist, können weitere Jahre ins Land gehen. Für Verlage, die bis zu einem Drittel auf die Ausschüttungen der VG Wort angewiesen sind, können das existenzbedrohende Jahre werden.