Verwertungsgesellschaft Wort:Freie Journalisten blockieren mit radikaler Forderung die VG Wort

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Buchverlage müssen gemäß einem Urteil Ausschüttungen der VG Wort zurückzahlen. Über das Wie wurde am Samstag in München abgestimmt.

Von Detlef Esslinger

Die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort wird vorerst keine Rückforderungen an die Buchverlage stellen. Die Folge: Buchautoren werden noch unbestimmte Zeit auf das Geld warten müssen, das ihnen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom April zusteht. Dies ist das Ergebnis einer Mitgliederversammlung der VG Wort vom Samstag in München.

Schlechte Stimmung durchzieht die Verwertungsgesellschaft seit Jahren, obwohl sie eigentlich ein Freudenspender ist. Einmal im Jahr überweist der Verein nicht nur seinen wenigen hundert Mitgliedern, sondern insgesamt 150 000 Verfassern von Texten Geld, das sie in der Kopierindustrie, bei den Nutzern von Pressespiegeln oder bei Bibliotheken eingesammelt hat. Je nachdem, was die Autoren publizieren, fließen Beträge, die mal ein paar Euro, mal mehrere tausend Euro hoch sind.

Der Münchner Urheberrechtsexperte Martin Vogel, der gelegentlich wissenschaftliche Texte schreibt, stört sich seit Jahren daran, dass die VG Wort das eingesammelte Geld nicht nur an Autoren, sondern auch an Verlage ausschüttet, weshalb er dagegen klagte. Im April gab ihm der Bundesgerichtshof (BGH) Recht. Am Samstag sollten etwa 300 Mitglieder nun über das Prozedere entscheiden, nach dem der Vorstand der VG Wort bei den Buchverlagen die mehrere Millionen Euro eintreibt, die diese zurückzuzahlen haben. Nichts angenehmer als dies? Nicht bei der VG Wort. Wohl im Versuch, Berichte über ein Treffen zu verhindern, an dem Journalisten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder teilnahmen, ließ sie einen SZ-Reporter nicht in den Saal. Er sei ja kein Mitglied.

Höhnische Rufe, gereckte Mittelfinger

Dem Kläger Vogel war am Samstag sein Sieg beim BGH nicht genug. Ihm reichte es nicht, dass der Vorstand der VG Wort den Verlagen nun eine Zahlungsfrist bis 30. November einräumen wollte. Erst recht gefiel ihm nicht, dass der Vorstand für solche Verlage einen Aufschub vorsah, die andernfalls in die Gefahr der Insolvenz geraten würden. Er stellte einen Antrag, die Rückzahlung müsse binnen zwei Wochen erfolgen. "Verlage, die jetzt nicht zahlen können, obwohl sie wussten, dass sie es müssen, sollen zu den Banken gehen und nicht um Gnade bitten", sagte er. Vogel fand Unterstützung beim Verband "Freischreiber", einer Vereinigung freier Journalisten. Auch ihnen war der Sieg vor Gericht noch nicht genug. Sie wollen erreichen, dass die Verlage das Geld zuzüglich Zinsen zurückzahlen müssen.

Zwar lehnte die Mehrheit diese Anträge ab. Aber die VG Wort ist in sechs Berufsgruppen aus Autoren und Verlegern aufgeteilt. Und gemäß ihren Regeln muss jede Gruppe mit Zweidrittelmehrheit einem Plan zur Verteilung von Geld zustimmen. In fünf Gruppen kam eine Mehrheit für den Vorstandsplan zustande, die Verleger schafften sogar Einstimmigkeit, aber die Journalisten scherten aus. Die "Freischreiber" (deren Mitglieder, wie viele Journalisten, nebenbei Bücher schreiben) hatten zuletzt so viele ihrer Mitglieder überzeugt, auch bei der VG Wort einzutreten, dass sie eine Sperrminorität zustande brachten. Sie wollen den Vorstandsplan erst juristisch prüfen lassen - er war erst am Samstagmorgen vorgelegt worden.

Die Stimmung war verdorben, als das Ergebnis der Auszählung bei den Journalisten bekannt gegeben wurde. 70 hätten zustimmen müssen, damit der Vorstand der VG Wort die Rückforderungen für Zehntausende Buchautoren hätte stellen dürfen, aber nur 67 Journalisten taten es (darunter der Autor dieses Textes). "Vielen Dank", riefen einige Buchautoren höhnisch Richtung Freischreibertisch. Mittelfinger wurden gereckt. Vor allem Autoren, die für kleinere Verlage arbeiten, waren die Anträge von Vogel und den "Freischreibern" zu radikal. "Von der Art, wie wir die Rückzahlung organisieren, hängt ab, ob ich künftig überhaupt noch einen Verlag vorfinde", sagte einer. Viele von ihnen leben von ihren Büchern, anders als Journalisten.

Bis zum 26. November muss der Vorstand eine Lösung suchen, dann ist wieder Versammlung. Für den Fall, dass es ihm nicht gelingt, alles Geld einzutreiben, steht Vogels nächste Klagedrohung im Raum. Er will dann haften lassen, und zwar in dieser Reihenfolge: Vorstand, Verwaltungsrat - und Mitglieder.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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