USA:Ein kleiner Marder im großen Spiel

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In Ryan Gattis' "Safe" geht es weniger um Verbrechen und Ermittlungen, als um die Kerle, die schmutzige Jobs erledigen.

Von Nicolas Freund

Er kann noch so abgründig und verschlagen sein, als Leser geht man ja immer davon aus, dass der Erzähler irgendwie einer der Guten ist. Wenn Beweggründe nachvollziehbar und Hintergründe bekannt werden, verschieben sich die Parameter des Urteilens, und auch die größten Verbrecher bekommen nicht selten sympathische Züge. Viele Romane setzen auf diese Ambivalenz zwischen Erzähler und Leser oder bauen aus ihnen regelrechte Fallen.

Ryan Gattis lässt in seinem neuen Thriller "Safe" nun gleich zwei solche zweifelhaften Gestalten aufeinander und auf den Leser los: Ricky Mendoza, bekannt als Ghost, ist ein professioneller Safeknacker und damit schon grundsätzlich verdächtig. Er arbeitet nicht für die Panzerknackerbande, sondern für die DEA, die Drogeneinheit der amerikanischen Polizei. Weil er aber eben doch nicht ganz harmlos ist, lässt er bei einem Einsatz Tausende Dollar mitgehen, die er in einem der Panzerschränke gefunden hat. Sein Gegenspieler ist Rudy Reyes, kurz Glasses. Glasses ist Familienvater und einer der wenigen Gangster, die ganz genau durchschauen, auf was für einem komplizierten Spielfeld sie sich bewegen. "Im Grunde wie Risiko, nur mit Schachfiguren. ... Nur so kann man das Ganze erklären, und jetzt hat sich ein gieriger kleiner Marder mitten in das große Spiel gemischt, als ob er wichtig wäre." Der Marder ist Ghost.

Die dritte Hauptfigur ist die Stadt Los Angeles, und man denkt sofort an den Filmklassiker "Heat" von Michael Mann, in dem sich Al Pacino und Robert De Niro unter ähnlichen Bedingungen ein gnadenloses Duell zwischen Polizei und Verbrecher liefern. Nur dass es in "Safe" gar nicht um den ganz großen Coup geht - es geht um die Typen, die auf der Straße für die eine oder die andere Seite die Arbeit erledigen und in deren Welt ein paar Tausend Dollar schon völlig ausreichend sind für einen Mord.

Für seinen letzten Roman "In den Straßen die Wut" recherchierte Gattis in genau diesem Milieu und soll sogar einen Gangsterboss getroffen haben. Obwohl er neben dem Schreiben als Professor arbeitet, Ted-Talks gibt und an mehreren Sozialprojekten in Los Angeles beteiligt ist, nimmt man dem über und über tätowierten Gattis diese betonte Street-Credibility ab. Gar nicht nur wegen der Geschichten von Safeknackern und Drogendealern und weil es ein eigenes Punkrock-Mixtape für den Roman gibt, sondern wegen der unscharfen Frontverläufe im Leben seiner Figuren, wo mal für die Gang und mal für die Polizei gearbeitet wird, oder wegen der andererseits sehr klaren Trennungen zwischen Hautfarben, Herkunft und Ausbildung, die für Menschen wie Ghost und Glasses Alltag sind. "Er hatte keine Ahnung, dass das Leben für die meisten Leute nicht so ist, vor allem, wenn man kein Weißer mit Uni-Abschluss und Leitungsposten in der DEA ist."

In "Safe" geht es weniger um Verbrechen und Ermittlungen, als um diese Kerle auf den Straßen von Los Angeles und was sie zu erzählen haben. Wie sie einander und sich selbst sehen. "Sie war Streichholzschachteln. Sie war Männerhüte. Sie sagte immer, sie sei bloß zerknüllte Alufolie." Gattis durchdringt seine Figuren wie wenige andere Thriller-Autoren und man folgt ihnen so gerne und glaubt an das Gute in ihnen, gerade weil sie nicht ganz sauber sind.

Ryan Gattis : Safe. Aus dem Englischen von Ingo Herzke und Michael Kellner. Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 2018. 416 Seiten, 20 Euro.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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