Immaterielles Weltkulturerbe:Schwitzen, peitschen, glücklich sein

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In this July 18, 2012 photo, people sit in a sauna at a Finnish summer cottage, in Leppavirta, central Finland. Frequent sauna baths may help you live longer, a study of Finnish men suggests. (AP Photo/Lehtikuva, Roni Rekomaa) FINLAND OUT (Foto: AP)

Die Unesco erklärt die finnische Sauna zum Weltkulturerbe. Das ist gerade in Corona-Zeiten eine gute, mindestens aber eine heiße Nachricht.

Von Gerhard Matzig

Es gab schon dürftiger bekleidete Initiativen als die, wonach die finnische Kunst des Saunagangs künftig zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit zu zählen ist. Zum Beispiel gab es mal den Vorschlag, die Herbertstraße auf Sankt Pauli zum Kulturerbe mit zwar nicht ganz immateriellem, aber verschwindend materiellem Einsatz von Textilien zu ernennen. Wie man weiß (oder sich hat sagen lassen): In der Herbertstraße warten Damen in zarter Lingerie sehnsuchtsvoll auf Kundschaft. Oder, wer weiß es denn, auf die große Liebe. Oder darauf, die Peitsche gegen einen kleinen Aufpreis zu nutzen.

All das ist ganz anders in der finnischen Sauna, die zu Recht zum Weltkulturerbe gehört. "Die Saunakultur in Finnland ist ein integraler Bestandteil des Lebens der Mehrheit der finnischen Bevölkerung", heißt es in einer Erklärung der UN-Kulturorganisation Unesco. Außerdem unter anderem auf der aktuellen Liste, die von menschlichem Wissen und Können zeugt, von Bräuchen, Handwerkskünsten und Kulturtechniken: die chinesische Kampfkunst und Bewegungslehre Tai-Chi sowie das europäische Bauhüttenwesen.

Die Herbertstraße hat es also wieder nicht dorthin geschafft, wo die Kunst des Pizzabackens oder die des Trockenmauerwerks schon längst archiviert sind als Zeugnisse der Zivilität. Man muss nicht traurig sein als Deutscher, denn die ehrwürdige Kunst der Genossenschaft oder die des Orgelbaus befinden sich ebenfalls auf der Unesco-Liste. Das Fastnacktherumsitzen bei moderaten Temperaturen (Herbertstraße) ist dem Ganznacktherumhocken (Finnland) bei Temperaturen bis 100 Grad klar unterlegen. Auch dient der in Finnland zum Peitschen gebräuchliche "Birkenquast" eher der äußeren Reinigung als der inneren Demut.

"Erst wenn Schnaps und Sauna nicht mehr helfen, geht's dir richtig beschissen"

Das Saunieren bietet selbst in Corona-Zeiten, da die öffentlichen Saunabäder abgekühlt sind, eine Möglichkeit, der Tristesse in hitzigere Gefilde zu entfliehen. In Finnland ist das Saunieren überdies keine öffentliche, sondern vor allem eine private Angelegenheit. Auch Söder kann mal vorbeikommen und nachzählen: Die geschätzt zwei bis drei Millionen Saunen, die es in Finnland gibt, lassen sich unter den 5,5 Millionen Finnen, die es ebenfalls in Finnland gibt, geschickt den AHA-Regeln unterwerfen. Sogar im Parlament in Helsinki gibt es eine Sauna. Und die "Sauna-Diplomatie" ist ebenfalls eine finnische Erfindung, also schon mal nicht die von Helmut Kohl. Außerdem soll das Virus ja hohe Temperaturen nicht so sehr schätzen wie den deutschen Nieselwinter um null Grad. Die Finnen sagen: Erst wenn Schnaps und Sauna nicht mehr helfen, geht's dir richtig beschissen.

In eine finnische Sauna geht man porentief mit dem Unrat der Welt angefüllt hinein, um porentief rein, ja keimlos sich immerhin fühlend herauszukommen: Man sitzt herum, ein- bis zweisam im ewigen Lockdown, schwitzt glücklich vor sich hin und heizt dem Virus ein. Das Beste aber: Die entspannte EU-Bürokratie muss sich zum Latschenkiefer-Aufguss zulassungstechnisch gar nicht äußern.

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