Es war einmal, da schien die Zukunft des Kinos im Studio Babelsberg zu liegen. Das war in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts, als man dort an dem großen Filmprojekt "Metropolis" arbeitete - dem Film, der nicht nur von der Zukunft der Gesellschaft erzählte, sondern für den auch alle erdenklichen neuen technischen Mittel und Tricks erfunden wurden. Im Januar 1927 hatte er Premiere in Berlin, seit 2001 gehört er zum Unesco-Weltdokumentenerbe, unter anderen neben der Gutenberg-Bibel und Beethovens Neunter Sinfonie.
Im Oktober 2019 wurde dann Potsdam, dank seines Stadtteils Babelsberg, zur "Creative City of Film" erklärt, die erste deutsche Stadt, die mit diesem Titel ausgezeichnet wurde. 13 Creative Cities gab es bisher, darunter Łódź, Sofia, Rom, Bristol, Galway, Qingdao, Busan, Sydney. Zugleich mit Potsdam wurden Mumbai, Valladolid und Wellington in den Kreis der Creative Cities aufgenommen. Ein Netzwerk der Kreativität, das nicht nur medial und filmhistorisch orientiert ist; die Mitglieder sollen sich "nicht nur für die kulturelle, sondern auch für die sozioökonomische Entwicklung der Städte" einsetzen.
Intensiv hatte Potsdam sich um die Aufnahme beworben, in der Tat konnte die Stadt zahlreiche Institutionen anführen, die es in Sachen Filmproduktion und Filmgeschichte vorzuweisen hat: Babelsberg, ein Filmmuseum, wo Filme gesammelt und in Retrospektiven gezeigt werden, die Filmuniversität Konrad Wolf, benannt nach einem der wichtigsten jungen Defa-Regisseure der DDR, der Filmpark Babelsberg, der Medienboard Berlin-Brandenburg, der konsequent deutsche Produktionen finanziell fördert.
Die Ausstattung und die Förderungsmöglichkeiten sind die eine Seite der Filmstadt Potsdam, die andere ist der Kinomythos, den die Geschichte von Babelsberg bietet. Der begann 1912, als Babelsberg den Betrieb aufnahm mit dem Asta-Nielsen-Film "Der Totentanz", und ist eng verknüpft mit der Universum Film AG, der Ufa, die 1917 gegründet wurde und lange Zeit fast die ganzen Kapazitäten des Studios beanspruchte mit ihren Produktionen. Weltgeltung hatten die Filme, die hier entstanden im filmischen Expressionismus der Zehner- und Zwanzigerjahre, der Zeit der "Dämonischen Leinwand". Fantastische, melodramatische, horrende Visionen, die die Unsicherheit von Krieg, Nachkrieg und Inflation reflektierten.
Der "blaue Engel" entsprach nicht den Vorstellungen der Nazis
Mit den Dreißigern stand die internationale Bedeutung des deutschen Kinos dann auf der Kippe, der Tonfilm forderte auch in Babelsberg völlig neue Konzepte, und die Ufa wurde nach 1933 immer stärker vom Reichspropagandaministerium der Nazis dominiert. Der größte frühe Tonfilmerfolg war "Der blaue Engel", von Josef von Sternberg, mit Marlene Dietrich und Emil Jannings, der damals ein Weltstar war - er wurde 1929 bei der allerersten Oscar-Verleihung als bester Schauspieler ausgezeichnet - und dann im Tonfilm einer der wichtigsten Akteure der Naziproduktion. 1929 hatte man in Babelsberg ein aufwendiges Tonstudio eingerichtet, das "Tonkreuz", und weil damals noch nicht synchronisiert wurde, drehte man den "blauen Engel" in einer deutschen und einer englischen Sprachfassung. Der Film war ein riesiger Erfolg, aber keiner, der den Vorstellungen der neuen Machthaber und ihrer Kulturpolitik entsprach.
Der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels war damals oft auf Inspektion in Babelsberg, und die Filmstars, die Damen bevorzugt, waren oft zu Gast bei seinen Abendveranstaltungen. Goebbels und sein "Führer" waren Filmbuffs, fast jede Nacht gab es im Vorführraum der Reichskanzlei ausgewählte Filme zu sehen. Durchaus auch welche aus dem dekadenten Hollywood, dem man es unbedingt gleichtun wollte. Hitler liebte "Vom Winde verweht", Goebbels verlangte von seinen Spielleitern, ihm einen deutschen "Panzerkreuzer Potemkin" zu schaffen. Sein Liebling war Regisseur Fritz Lang, der in den 1920ern mit seinen "Nibelungen" international erfolgreich war und 1927 das Prestigeprojekt "Metropolis" begonnen hatte.
Dieser Film war gebaut für den Weltmarkt, Gelder der Hollywood-Firmen Paramount und MGM steckten darin, er sollte den amerikanischen Markt aufmischen. Das klappte nicht, der Film floppte und wurde für Amerika streng gekürzt. Dafür holte Hollywood sich reihenweise deutsche Meisterregisseure aus Babelsberg, etwa Ernst Lubitsch und Friedrich Wilhelm Murnau, und ließ ihnen völlig freie Hand.
Nach 1933 mussten dann viele Leute, vor allem die jüdischer Abstammung, Deutschland verlassen. Auch Marlene Dietrich ging nach Hollywood, drehte dort ein halbes Dutzend weiterer Filme mit Josef von Sternberg, die den Mythos des "blauen Engel" weiter verfestigten, und den Mythos Marlene. 1993 hat die Deutsche Kinemathek Marlenes Nachlass übernommen.
Die Dreißiger und Vierziger galten in der Nachkriegszeit als schwarzes Loch der deutschen Filmgeschichte, nicht der Rede und des Rühmens wert, und die Fünfziger waren, als die DDR in Babelsberg ihre Defa-Produktionen machte, eher eine Grauzone, ein Kino, das bemüht und korrekt, oft bieder war. "Wir knüpften bewusst an den Stummfilm an", erklärten selbstbewusst die Filmemacher des Jungen Deutschen Films der Sechziger, Volker Schlöndorff, Alexander Kluge oder Werner Herzog.
Schlöndorff hat 1991 angefangen, das nicht mehr ganz frische Defa-Studio Babelsberg wieder in Fahrt zu bringen. Tatsächlich sind verstärkt internationale Produktionen dort entstanden, Roman Polanski drehte "Der Pianist", Quentin Tarantino "Inglourious Basterds", Steven Spielberg "Bridge of Spies". Babelsberg hat technisch gewaltig aufgerüstet und ist, unterstützt von Bund und Land, billiger als Hollywood. Was die Technik angeht, bei Dreh und Computer-Nachbearbeitung, ist man in Babelsberg auf dem neuesten Stand, kann sich mit den Amerikanern messen. Was fehlt, ist ein Gefühl von Weite und Lässigkeit, jene Selbstverständlichkeit, die Hollywood in jeder Einstellung reflektiert. In der Verwandlung, die Marlene erlebte, von der derben Tingeltangel-Lola im "blauen Engel" zum eleganten artifiziellen Geschöpf in Hollywood, ist der Unterschied zu spüren. "Die Schleier und Netze und Luftschlangen", schrieb Frieda Grafe, "mit denen er die Zweidimensionalität der Leinwand markierte, sollten den Zuschauer wissen machen, dass er das Eigentliche, weil unabbildbar, nie zu sehen bekommt. So verstand Sternberg die Abstraktion des Kinos."