Ulrich Meyer bei Sat1:Der will doch nur helfen

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Einer, der weiß, dass die Welt da draußen ihn für einen harten Hund hält: Ulrich Meyer moderiert seit 15 Jahren die "Akte" bei Sat 1 - ein Ende ist nicht in Sicht.

Claudia Tieschky

Im Fernsehen sind Gesichter viel wichtiger als Namen. Wenn man zum Beispiel über Ulrich Meyer sagt: Der von Akte am Dienstag bei Sat1, der seit Jahren gleich jung ausschaut, dann wissen die meisten Leute schon, wer gemeint ist. Meyer moderiert die Reportagesendung inzwischen seit 15 Jahren, und er altert so unheimlich unauffällig wie außer ihm nur noch Peter Kloeppel von RTL oder Dorian Gray.

Ulrich Meyer, der ewig jung aussehende Moderator ("Akte" bei Sat1) kommt in die Jahre - seine Sendung auch. (Foto: Foto: dpa)

Meyer moderiert schneidig und mit der Miene eines Mannes, der weiß, dass die Welt da draußen ihn für einen harten Hund hält. Das hängt ihm seit den Frühzeiten des Kommerzfernsehens an, in denen er Krawallformate moderierte wie Der heiße Stuhl (RTL) oder Einspruch! (Sat1). Der irgendwie alterslose Meyer verkörpert scheinbar das Gesetz des ewig jungen Privatfernsehens, aber in Wirklichkeit hat er dessen Regeln schon lange außer Kraft gesetzt: 15 Jahre sind für eine Sendung im Privatfernsehen ein fast unvorstellbar langer Zeitraum. Einer, der auch etwas aussagt über den Produzenten Ulrich Meyer. Selbst Günther Jauch ist mit dem Millionärsquiz bei RTL erst seit zehn Jahren dabei.

Die Sache mit der Jugendlichkeit wischt Meyer schnell zur Seite. Es sei schön, wenn Leute das so sähen, sagt er, aber im Vergleich zur Zeit vor 15 Jahren sei da doch "schon eine Menge Lack ab". In der Jubiläumsfolge habe man das mal "ganz ohne Rücksicht nebeneinander geschnitten", erklärt er freundlich und kündigt gleich an, dass demnächst in der neuen HD-Technik seine Augenfältchen doch auffallen könnten.

Ganz nah am Zuschauer

Ganz offensichtlich ist der Moderator Meyer für den Produzenten Meyer vor allem ein Teil der robusten Marke Akte, dem Herzstück seiner Berliner Meta Productions. An der Firma, die von der Leipziger Dependance aus unter anderem auch für den MDR produziert ( Escher - Der MDR-Ratgeber, Die Spur der Täter), hält der Großhersteller Endemol inzwischen 90 Prozent. Zehn Prozent gehören dem Geschäftsführer und Gründer Ulrich Meyer. "Mit Akte ist Sat 1 so nah am Zuschauer dran wie mit keinem anderen Format", glaubt er.

Die Sendung führt inzwischen den Untertitel "Reporter kämpfen für Sie!", in letzter Zeit ging es zum Beispiel um dubiose Mahnschreiben, böse Fallen beim Online-Einkauf, um Datenschutz-Lücken in sozialen Netzwerken, um Hotelbetrüger oder auch mal um den Weg einer 56-Jährigen zur schlanken Schönheit.

Anwalt der kleinen Leute

Es sind überwiegend die Themen einer TV-Welt, in der Menschen zu Opfern werden: der Überforderung, der Unbedarftheit, der eigenen Gier oder des Betrugs. Vieles davon ist reiner Trash ("Akte begleitet die letzten Schliffe am neuen Köper"). Meyer sagt dagegen: "Wir sind der Anwalt der kleinen Leute, die nicht mehr wissen, an wen sie sich überhaupt wenden sollen", und dabei klingt er etwas wie der Fernsehpfarrer Jürgen Fliege. "Dann erinnern sie sich, der Meyer und seine Leute, die haben doch schon so vielen geholfen." Akte gehe solange auf "den Häscher zu, bis er sich vor der Kamera doch dem von ihm Gepeinigten stellt."

Das, was Anwalt Meyer seit 15 Jahren macht, liegt jedenfalls jetzt wieder sehr im Trend. Der überforderte, hilfsbedürftige Mensch ist wie nie zuvor ein Topos im TV. Es ist eine Mode, die viel aussagt: über diese Gesellschaft, über ihre Angst und ihre Angstlust. Das Publikum schaltet die vielen Hilfsformate sogar dann ein, wenn diese frei erfunden und nach Drehbuch inszeniert sind, meist in betont prekären Milieus. Aber solche Scripted Reality, darauf legt Moderator Meyer Wert, "hat in unseren Sendungen natürlich keinen Platz, Glaubwürdigkeit und Authentizität sind bei unseren Beiträgen extrem wichtig".

Die Fälle der Akte kommen laut Meyer vor allem vom Publikum, per Mail, Fax oder Brief: "Die Zuschaueranfragen sind so massiv wie noch nie zuvor. Von Menschen, die merken, dass bei ihnen etwas schief geht, und die Hilferufe senden." Diese Zuschriften nennt Meyer seinen Goldschatz.

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Die Bilder

Es ist, so scheint es, wieder einmal die Stunde der Schicksalsgeschichte. Aber Fernsehen ist immer auch Unterhaltung und seine Bedürfnisarbeiter dürfen keinen Schmutz scheuen. Für viele, durchaus geschäftsträchtige Schlagzeilen sorgte es jedenfalls, als Akte vor neun Jahren über angebliche Kokainfunde im Reichstag berichtete - und Hausverbot erhielt.

Der Produzent Ulrich Meyer weiß natürlich auch, dass man mit Scripted Reality viel Geld sparen könnte. Wenn man in Reportagen nichts mehr dem Zufall überlässt, dann verkürzt das vieles, besonders das Budget. "Auch das ist in der Tat ein Reflex auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieser Branche", sagt Meyer.

Produzenten müssten seit Jahren eine Erosion der Erlöse hinnehmen: "Wir sind in einer Situation, in der sich eine Goldgräberbranche in eine Tellerwäscherindustrie verwandelt." Seine Redaktion müsse sich heute aus Kostengründen fragen, ob sie Fälle mit komplizierter Recherchearbeit überhaupt noch aufgreife, oder sich auf Zuschriften konzentriere, "bei denen alle Dokumente bereits vorhanden sind".

Die Akte bringt Sat1 am Dienstag um 22.15 Uhr seit Jahren schöne Quoten. 2009 holte die Sendung in der für die Werbewirtschaft wichtigen jungen Zuschauergruppe bis zu 15,9 Prozent Marktanteil und im Schnitt knapp zwölf Prozent (elf Prozent beim Gesamtpublikum).

Auch deshalb wird Meyer jetzt oft nach Johannes B. Kerner gefragt, der von Sat1 für viel Geld vom ZDF abgeworben wurde, aber sich bisher sehr schwer tut. Der blonde Kerner setzt ebenfalls häufig auf Verbraucherthemen. Gibt es für Meyer neue Konkurrenz? Ach was, sagt er: "Intern ist alles eng verzahnt." Es herrsche Kooperation: "Wir sehen uns als die Platzhirsche, wir haben Fälle ohne Ende. Wenn die Redaktion von Johannes B. Kerner etwas davon interessiert, liefern wir gerne, was immer möglich ist."

Er sei vollkommen sicher, sagt Meyer, dass Kerners Sendung funktionieren werde, aber eine Gesprächssendung am Abend habe es bei Sat 1 eben "seit ewiger Zeit" nicht mehr gegeben. Da müsse der neue Kollege "ackern, eggen, düngen, warten. Er macht es am besten nach der Methode Olli Kahn: einfach immer weiter". Ulrich Meyer weiß, wovon er da spricht.

Akte Jubiläumssendung, Sat1, Dienstag, 22.15 Uhr.

© SZ vom 04.01.2010/dog - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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