Ukrainisches Tagebuch (XXXVII):Neue Handtücher, was für ein Glück

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Oxana Matiychuk arbeitet an der Universität von Tscherniwzi (Czernowitz) im Westen der Ukraine. (Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

Das ukrainische Tagebuch über Kleinigkeiten, die im Krieg ein großer Lichtblick sein können und Orte, an denen es mehr Besatzer als Einwohner gibt.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Sobald ich meinen Text abgeschickt hatte, der in der Süddeutschen Zeitung den Titel "Angst vor den Lokalnachrichten" erhielt, las ich abermals die Nachrichten. Die neueste Meldung war dann tatsächlich die vom Tod des 23-jährigen Soldaten. Ein Foto, auf dem er lächelt. Ich werde die Mitteilung von seinem Tod noch mehrfach sehen, nicht nur in lokalen Nachrichten, weil er einer war, der trotz seines jungen Alters bereits einiges erreichte. Oleh, so hieß der Sohn des Universitätskollegen, war Vizeeuropameister und Meister der Ukraine im Orientierungslauf. Er ist nicht der einzige Athlet, der im Krieg umgekommen ist, der Ukrainische Sportverband hat inzwischen sogar eine Webseite gegründet, die den gefallenen Sportlern gewidmet ist. "Engel des Sports" heißt sie und zählt momentan 33 Namen. Ein Foto dazu und ein kurzer Begleittext. Olehs Daten sind die jüngsten. Ob es bei 33 Engeln des Sports bleiben wird? Selbst mit viel Optimismus fällt es mir schwer, das zu glauben.

Etwas optimistischer dagegen stimmen mich die Kurzberichte und Fotos von der Kollegin L. und dem Kollegen W., die für "Kinderangelegenheiten" zuständig waren. Die Sachspenden von der Organisation "Schüler Helfen Leben" finden eine sehr gute Verwendung. Im Studentendorf werden "Kindertüten" verteilt, W. und sein Helferteam füllen sie mit Mal- und Mandalabüchern, Puzzles, Spielen, Seifenblasen, Buntstiften, in Variationen je nach dem Alter, dazu eine der Schokoladentafeln und eins der Croissants, die wir in Rumänien eingekauft haben. L. und ihre Kolleginnen engagieren eine Künstlerin aus Charkiw, die einen Seifenblasenworkshop im Park vor der Universität veranstaltet. Bei all den Aktivitäten kann ich leider nicht dabei sein, weil ich mit meinen Studierenden Interessantes aus der Literaturgeschichte zu besprechen habe, aber Fotos sprechen für sich. Bei strahlender Sonne im Park scheinen sich nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene gut zu amüsieren. Ich staune, was sich alles aus Schaum formen lässt. Es sind viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien, erzählt L. hinterher. Auf den Fotos sind fröhliche Gesichter, Menschen freuen sich an einfachen Dingen. Man könnte denken, ein natürlicher Zustand eines jeden Menschen sei es, sich zu freuen und andere sich freuen zu lassen. So naiv könnte man sein. Das Menschenwesen bleibt ein Rätsel.

Wenn es bloß für jede geflüchtete Familie eine Fee gäbe

Am Freitagnachmittag soll endlich ein Transporter die schon lange bereitstehenden Hilfsgüter und Medikamente für A. aus der Region Kiew abholen. Zumindest kündigt A. mir an, dass es nun einen gibt. Wegen Treibstoffmangel dauert es manchmal lange. Ich gehe zum Lager, als eine N. mir am Telefon sagt, sie seien mit dem Wagen unterwegs zu uns. Doch es ist ein Pkw, ein Mazda, der nur den Kofferraum frei hat. Nach einer Rücksprache mit A. laden wir Medikamente, Kindernahrung und Kindersachen ein. Alles andere wie Lebensmittel und Hygieneartikel muss warten. A. schrieb mir, dass er mit mehreren Heimen für behinderte Kinder arbeitet, aber auch Familien mit besonderen Kindern kennt. Als er mir am Samstag den Empfang bestätigt, bitte ich ihn, nach Möglichkeit ein paar Informationen mit Fotos für meinen Bericht zu schicken. In seiner Antwort schreibt er: "Natürlich, das wollte ich ohnehin tun, es wird bloß etwas dauern. Ich möchte für mich auch ein Album machen, mit Fotos von Kindern, die lächeln. Und mich darüber freuen, dass ich an diesem Lächeln beteiligt war." Was für sentimentale Worte von einem ukrainischen Mann, denke ich. Schön, sie zu lesen.

"Meine" O. aus Saporischschja schreibt auch wieder. Sie ist anscheinend in ihrem Element als Sozialarbeiterin, nahm Kontakt zu den Familien auf, die es geschafft haben, Wassyliwka zu verlassen, und ebenfalls in Saporischschja sind. Von ihr kommen konkrete Angaben, wie viele Kinder es sind und was für sie geeignet wäre. Schön wäre es, schreibt O., wenn die Sachen bis zum 1. Juni kämen. Am Internationalen Kindertag könnte man ein kleines Fest veranstalten und sie verteilen. Endlich kann sie mir auch die Adresse von der "Neuen Post" schicken, die sich in ihrer Nähe befindet. Sie haben wieder eine neue Bleibe, es ist die fünfte seit dem Kriegsbeginn, sieht aber besser aus als alle früheren. "Ich habe gestern die neue Bettwäsche und die Handtücher rausgeholt. NEUE. Ich hatte beinahe vergessen, dass es so etwas gibt. Das war wunderschön, Sie haben wieder ein Lächeln in unsere Gesichter gezaubert, Sie sind die Fee unserer Familie." So leicht wird man zu einer Fee, denke ich. Wenn es bloß für jede geflüchtete Familie eine Fee gäbe.

Lesung im Lustspielhaus München
:Iris Berben liest das "Ukrainische Tagebuch"

Seit Beginn des Krieges berichtet Oxana Matiychuk in der SZ vom Krieg in der Ukraine - nun kommt sie nach München. Und bekommt prominente Unterstützung.

In den Morgennachrichten am Montag lese ich wieder von Wassyliwka, dem Heimatort von O.s Familie. Inzwischen soll es in diesem größten Knotenpunkt vor Saporischschja mehr Besatzer geben als einheimische Einwohner. Ich fürchte, O. muss sich auf einen längeren Aufenthalt in ihrer neuen Bleibe einstellen. Zumindest so lange, bis die ukrainische Gegenoffensive im Süden möglich ist, auf die so viele hoffen.

Oxana Matiychuk kommt am 29. Mai ins Münchner Lustspielhaus - und Iris Berben liest aus dem "Ukrainischen Tagebuch". Alle Infos auf www.sz-erleben.sueddeutsche.de

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