TV-Kritik: "Waldi & Harry":Warten auf Gold

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Waldi und Harry sind nicht unbedingt langweilig. Ihr verhaltenes Pingpong-Entertainment ist ein faszinierendes Symptom der deutschen Medaillen-Depression. Eine Innenansicht.

Franziska Seng

Draußen, auf der frisch asphaltierten Landstraße nach Peking, vor dem olympischen ARD-Studio:

Harald Schmidt übt sich in der Disziplin des Kampf-Wartens. (Foto: Foto: dpa)

Harald: Komm, wir gehen! Waldimir: Wir können nicht. Harald: Warum nicht? Waldimir: Wir warten auf Gold. Harald: Ach ja.

Waldimir und Harald streifen sich ihre Spitznamen über und betreten das Studio, wollen sich abkühlen. Waldi reagiert schon wieder allergisch auf das penetrante Raumparfüm. Überall synthetisches Jasminöl. Die Langnase läuft. "Hätt' ich doch den Bart noch", seufzt Waldi, ein Gedanke, der ihn in letzter Zeit immer öfter und hinterrücks befällt. Ein Göttinger Sinologiestudent, der seit Tagen nutzlos rumlungert, kommt mit einer Rolle Klopapier angesprungen. Das ist die Rettung. Gleich beginnt die Show.

Die Stimmung ist gedrückt an diesem Tag, immer noch kein olympisches Gold für Deutschland. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für die Quotenhoffnungsträger der ARD, und die beiden wissen das. Sie sind Profis.

Aber Harry ist genervt, würde am liebsten lauthals rezitieren, aufschreien. "Nach Golde drängt ... ach, wir Armen ..." Waldi ahnt den Anfall voraus, zieht dem melancholischen Entertainer liebevoll und neckisch am Mikrofonkabel, das aus dem Jackett hervorlugt. Er würde ihm gerne die Schulter tätscheln, aber weiß, die Geste sähe ungelenk aus; wie ein Dachs, der eine Giraffe umklammern will. "Geh, Harry, denk doch an die Leut' da draußen ..."

Das ist das Stichwort, plötzlich die Lichter, der Applaus. "Doch immer wieder toll, diese strahlenden Gesichter", denkt Harry. Sie sind unschuldig, wollen nur froh und munter sein. Wo im deutschen Fernsehen sieht man noch derartig glückliche Menschen? "Und das alles wegen mir." Harry vergisst für einen Moment, dass er den ganzen Tag mit Lang Lang beschallt worden ist. Wunderkinder sind doof.

Und der Waldi schmeißt die Show. Bringt das Publikum erst mal runter von seiner Euphorie. "Bitte, beruhigen Sie sich, wir sind nicht zum Spaß hier." Gut gesagt, Waldi, nur keine allzu großen Erwartungen schüren. Wir sind hier in Peking, nicht beim ZDF-Wunschkonzert! Womöglich gewinnen wir fast überhaupt keine Goldmedaillen, dann müssen wir trotzdem weiterleben!

"Der Pocher kann viel lernen vom Waldi", denkt Harry, "zum Beispiel dieses mentale ESP-System, wenn nach einer Pointe keine Sau lacht im Publikum. Da gerät der Pocher immer ins Schlingern, redet schneller, verpulvert noch mehr Pointen und grinst schief." Dem Waldi ist das wurscht. Ob das vom graugrünen Trachtenjanker kommt, diese Bescheidenheit? "Vielleicht kauf ich dem Pocher auch einen, wenn ich wieder daheim bin."

"Was mach ich bloß mit den Gästen?" Waldi würde viel lieber Fußballer interviewen. Die sind zwar manchmal ungehobelt, dafür ist da mehr Dramatik drin. Aber hier ... Man ist ja selber nicht so 'ne Stimmungskanone. Erst der einsame Synchronspringer mit Trainer, dann zwei semi-erfolgreiche Handballerinnen und ein zum Verzweifeln sympathischer Tischtennisspieler.

Da hilft nur eins: lustige Folklore. In einem exotischen Kostüm bekommen bleiche Hallensportler ein wenig Farbe. "Wahrscheinlich ist es besser so", denkt auch Harry. Insgeheim hält er Verkleidungsspielchen für zynisch und menschenverachtend.

Symbole sind so wichtig, vor allem in China. "Hat irgendjemand den Sack Reis bemerkt, der neben meinem Pult steht?" Der ist Harrys Lieblingsrequisit. Ein Lichtblick im Studio, das den heute erfolgreichen Showmaster an einen billigen China-Imbiss erinnert. Der Gedanke an das Glutamat im Chop Suey verursacht bei ihm immer spontanen Brechreiz. "Vielleicht fällt der Reissack ja mal um, hier, in China,", versucht er sich abzulenken, "das fänden dann natürlich alle sehr lustig."

Kurzer Stimmungs-Check beim Publikum: Die Gesichter sind blasser, haben an Glanz verloren, die Blicke glasig. Endlich. Jetzt sind sie bereit.

Die Selbstgeißelung erreicht ihren Höhepunkt. Der Medaillenspiegel: "Sind wir noch drauf?" Wow, Waldi, das saß! Deutschland auf Platz 19, hinter Aserbaidschan und Nordkorea! Die quälende Warterei auf die Goldmedaille wird mit Hilfe von Waldi und Harry noch katalysiert, erlangt eine kathartische Dimension, einen Selbstzweck. Das hat im deutschen Fernsehen noch gefehlt. Bitte, mehr!

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