TV-Kritik: "Schlag den Raab":Die Raabi Horror Picture Show

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Am Abend nach Halloween tritt Stefan Raab gegen einen waschechten Olympiasieger an und schreibt ein weiteres Kapitel seiner unheimlichen Erfolgsstory. Ein kleines schauerliches Nachtstück.

Franziska Seng

Der Abschied von Köln war ihm leicht gefallen. An einem ungewöhnlich klaren Novembertag hatte Ole seine treuen Turnschuhe und die Judo-Olympiagoldmedaille als Glücksbringer in den Tornister geworfen, und als er die ersten Schritte gen Osten gestapft war, durchströmte ihn ein lang entbehrtes Gefühl. "Warum bin ich nicht schon eher gegangen", tadelte er sich leise. "Immer nur dieses Judo und Fußball. Sport macht Spaß, sorgt für eine geregelte Verdauung und verzögert altersbedingte Impotenz. Doch hier gibt es niemanden, an dem ich mich noch messen könnte." Bald überquerte Ole den Rhein. Voll des Übermuts, der jeden leidenschaftlichen Reisenden packt, sobald er ein neues Ziel vor Augen hat, kam er am Abend in dem idyllischen Dörfchen Mülheim an.

Sogar beim Luftanhaltespiel setzte Herr Raab das spöttische Grinsen nicht ab. (Foto: Foto: ProSieben)

Zu hause waren nicht alle mit seiner Entscheidung einverstanden gewesen. Bevor Ole wegging, hatte er viele, sicherlich hoffnungslos übertriebene Geschichten über sich ergehen lassen müssen. Über den Mann, dem er sich stellen würde, kursierten Gerüchte; Gerüchte über seine Vergangenheit, das Geheimnis seines unheimlichen Erfolgs. Angeblich stammte er aus dem Hause eines tüchtigen Metzgers. Sein ganzer schrecklicher Clan sei eines Nachts mit schwerem Gerät aufmarschiert, um ihm einen Samstagabendsendeplatz zu erhacken.

Eine ältere Nachbarin wollte sich daran erinnern, dass er zu Beginn seiner Karriere, damals, bei einem heute heruntergewirtschafteten Musiksender, mehrere Jahre seine Hose nicht gewechselt haben soll, da diese mit den Häuten verhungerter Straßenköter bespannt gewesen sei, die ihm seinen nackenhaarsträubenden Zynismus eingaben. Eine andere glaubte felsenfest, dass es sich bei dem Herrn Raab nicht um einen Menschen, sondern einen hölzernen Automaten handele, der mit seinen graublauen Augen jeden in den Wahnsinn treibe. Doch Ole sagte sich im Stillen: "Wie ängstlich die Leute sind. Es ist doch alles nur ein Spiel."

Oles Gegner empfing ihn mit schepperndem Gelächter. "Olympiasieger, das nützt dir bei Pro7 gar nichts! Hier gelten meine Regeln! Von mir aus kämpfen wir bis in den Morgen!" Sogar unter Wasser, beim Luftanhaltespiel, setzte Herr Raab das spöttische Grinsen nicht ab. War er vielleicht doch etwas dran an den übermenschlichen Gerüchten? Ole, der sich kurz darauf in einem rotierenden, überdimensionalen Hamsterrad wiederfand, geriet bei diesem Gedanken ins Straucheln, wurde schmerzhaft umher geschleudert. Wer Herrn Raab besiegte, das war klar, ging reich beschenkt nach Hause. Doch was geschah eigentlich mit den Verlierern? Hat man von denen je wieder gehört?

Ole musste sich an einen grausigen Brauch erinnern, von dem er auf einer Südamerikareise gehört hatte: Die Mayas, die ein heiliges Ballspiel pflegten, schlachteten nach dem Spiel die Verlierer ab. Zu irgendwelchen höheren Zwecken. Und essen die Menschen dort nicht auch heute noch gerne Hamster? Oder waren es Meerschweinchen? Oles logisches Denkvermögen setzte aus, diffuse Ahnungen wirbelten ihm durch den Kopf. Ängste lähmten ihm die Zunge, die er bei einem unappetitlichen Geschmackratespiel - Senf kombiniert mit Marzipan, fast wie bei Gottschalk - dringend gebraucht hätte. Herr Raab war längst in Führung gegangen.

"Wie komme ich lebendig aus Mülheim raus, zurück nach Köln, zu meinen harmlosen Trainingskollegen?" Ole kniff die Lippen fest zusammen, sagte nur noch das nötigste. Er fürchtete, dass, wenn er den Mund zu weit öffnete, sein ganzer Körper auseinander fallen könnte wie ein Packen Mikadostäbchen. Herr Raab grinste breit weiter, dazwischen wieder dieses nervtötende, scheppernde Gelächter.

"Selbst beim Ping Pong kann ich nicht punkten, dabei war ich doch erst in Peking!" Ole war nun fest davon überzeugt, dass sein schrecklicher Gastgeber kein Mensch, sondern ein rücksichtsloser, von Stanley Kubrick braingepoolter Erfolgsautomat war. Diskutieren zwecklos. Auch bei der gruseligen Disziplin "Monstertruck" waren die Dämonen nicht auf seiner Seite.

Als Ole glaubte, von allen guten und bösen Geistern bereits verlassen zu sein, tauchte, Bond-Girl ex machina, die untote Grace Jones im schwarzen Wallegewand auf. Dieser schauderhafte Anblick brachte den Armen so aus der Fassung, dass ihm, wie von einem hinterhältigen Giftpfeil getroffen, der Mund austrocknete, Atem und Spucke weg blieben. Sein Todesurteil war besiegelt: Beim Gummibärchenweitspucken triumphierte Herr Raab endgültig über den einst so strahlenden Leistungssportler.

An jenem Abend schienen die Naturgesetze außer Kraft gesetzt. Ausgestoßen aus dem dunklen Kubus des Studios, in dem sich der hämische Sieger noch unter den Klängen von Whitney Houstons Olympia-Klassiker feiern ließ, stolperte Ole in Richtung Wasser. In dunkler Nacht setzte er über den Rhein. Sein künftiges Schicksal erschien ihm nach dieser traurigen Begegnung ungewisser, ja unglücklicher als je zuvor.

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