TV-Kritik: "Schlag den Raab":Das deutsche Wettkampfwunder

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Einfach gnadenlos: Stefan Raab schwitzt, keucht - und zockt. Und beweist abermals den Mut, sein ungeschminktes Fleisch in die Kamera zu halten. Eine kleine Nachtkritik.

F. Seng

"Das Saarland hat ja durchaus seine Reize", dachte Oku, als er von den Ruinen der Homburger Festung auf seine kleine Stadt blickte. "Aber 2,5 Millionen Euro verdienen, das wäre auch nicht schlecht." Okus Reggaekumpels lagen noch in den Federn, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen.

Zwei Spielertypen trafen am Samstagabend aufeinander: Oku, der unbekümmerte Taugenichts, und Stefan Raab, der sich noch schamloser als sonst abrackerte. (Foto: Foto: Pro Sieben)

"Der Frühling ist vor der Tür, geh einmal hinaus in die Welt und berwirb dich um ein fettes Extrabrot", sagte ihm eine innere Stimme. Da streifte sich der Sänger und Bandleader sein allerblaustes T-Shirt über. Das sollte ihm Glück bringen im Kampf gegen das deutsche Wettkampfwunder.

Das konnte er brauchen, denn der Kontrahent in Mülheim brannte. Drei Monate war er nicht mehr angetreten. Hatte in der Vergangenheit das Feld halbstarken Prominenten überlassen, die aus dem Schlagabtausch mit motivierteren Gästen meist als Verlierer hervorgingen und hinter den Einschaltquoten des Hausherren zurückblieben. Dementsprechend frenetisch fiel dessen Begrüßungsapplaus aus, wärmste Zustimmung, noch bevor er sich irgendein Körperteil blutig geschlagen hatte. Das sollte aber noch kommen.

Alte Wunden

Selten konkurrierten gewappnetere Athleten um die Starterlaubnis auf Deutschlands härtestem Erwachsenenspielplatz: Da waren der Pfarrer, der zu Hause gewaltlosen Widerstand predigte und den Entertainer in Mülheim mit gnadenlosem göttlichen Beistand schlagen wollte; der Heidelberger Professor, bewandert in Mathematik, Wirtschaftsinformatik, Berglauf und anderen Schindereien; nicht zu vergessen die junge, forsche Hautärztin, die in der Woche hundert Kilometer läuft und sich mit ihrem Gewinn den lang gehegten Traum vom Elefantenführerschein zu erfüllen erhoffte.

Doch das Publikum wählte den Musikdichter und Pädagogen mit nigerianischen Wurzeln, vielleicht weil er gute Erinnerungen an den Deutsch-Nigerianer Olufemi weckte, den einzigen Kandidaten, der schon einmal 2,5 Millionen Euro gegen Stefan Raab einstecken konnte.

Und tatsächlich riss der Anblick des neuen Herausforderers alte Wunden auf, immer wieder kam der ansonsten so wendige und abgebrühte Vorkämpfer ins Trudeln, foulte beim Hockey, schoss ein Eigentor, patzte beim Stapeln der Bauklötze und verwechselte Oku namentlich mit Angstgegner Olufemi. Raab verballerte Aufschläge beim Tennis, verlor beim Solitär und versagte beim Luftballon aufblasen.

"Ich hab jetzt nicht mitgedacht"

Der Sänger von Homburg hingegen wandelte lange Zeit mit traumtänzerischer Sicherheit durch den Parcours. Er schien die Überlegenheit des Musikdichters über den schnöden Erfolgsproduzenten demonstrieren zu wollen, zeigte äußerlich weder Nervosität noch pathologischen Ehrgeiz, machte sich keinen großen Kopf: "Ich hab jetzt nicht mitgedacht", gestand er an einer Stelle mit entwaffnender Offenheit.

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Eine kindlich-unbekümmerte Haltung, die jeden Zuschauer entzücken muss: Wer kann schon fünf Stunden lang dem braven Extemporieren des um Witz und Ironie bemühten Matthias Opdenhövel folgen? Den Satzbeschaffungsmaßnahmen Frank Buschmanns, der auch dann tödliche Spannung vorzutäuschen versucht, wenn gerade mal - und das kann selbst in den besten Spielen vorkommen - gar nichts passiert?

Zwei Spielertypen trafen am Samstagabend aufeinander: Zum einen Oku, der sich an die Vorgehensweise des unbekümmerten Taugenichts hielt, nämlich sein Glück nicht zu suchen, sondern einfach zu finden. Hoffnungsvoll begann Okus Spiel, er gewann knapp im Kräfte zehrenden Klettergarten, stapelte sorgfältig seine blauen Bauklötze, schoss Hockeytore, obwohl er sich auf dem Spielfeld kaum bewegte. Oft lag er vorne, punktete, obwohl Raab sich von Beginn an noch schamloser als sonst abrackerte. Doch langsam wendete sich das Blatt für den sympathischen Helden.

Schon vor dem ersten Spiel ist er knallrot angelaufen

Raab holte auf, demonstrierte seine mittlerweile gefürchteten Sekundärtugenden: Schnelligkeit am Drücker, Feingefühl für PS-starke Maschinen, dieses Mal auf Quads durch einen von Regen präparierten Matsch-Parcours. Und verdeutlichte in der über fünf Stunden dauernden, wohl bisher spannendsten Ausgabe von "Schlag den Raab" auf ein Neues, was ihn auszeichnet: Mut, sein ungeschminktes, leidendes Fleisch in die Kamera zu halten.

Schon vor dem ersten Spiel ist er knallrot angelaufen. Er schwitzt. Sein erschöpftes Keuchen ins Helmmikrophon übertönt das Gebrumm des Quads. Raab scheuert sich Hände und Knie auf. Der blutige Hemdsärmel taugt jetzt schon als Reliquie.

Als Oku im vorletzten Spiel "Englischer Fußball" vorne liegt, verliert er erst die Konzentration, dann die Nerven. Raab, selbst zunächst noch zittrig, holt seinen Rückstand auf, gewinnt. Beim Matchspiel für Raab, dem Quiz "Wer weiß mehr", zockt er gnadenlos, lässt Oku, der nicht mehr auf seinem Hocker sitzen bleiben kann und aufgescheucht durch die Dekoration wuselt, keine Chance, keinen einzigen Punkt.

Das ist bitter für Oku. Er muss ohne Millionen zurück ins Saarland, seinen Reggaekumpels behutsam beibringen, warum das mit dem Incentive nach Kingston nichts wird, und die Sperlinge auf den Dächern werden sich überlegen, ob sie diesem Chancentod nochmal was Nettes zwitschern. Dafür sind in der nächsten Sendung phantastische drei Millionen Euro im Gewinntopf. Stoff für neue Träume. Doch dieser Raab, und das ist bitterster Realismus für alle träumenden Herausforderer, könnte - auf Jahre hin - unschlagbar sein.

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