TV-Kritik: Reich-Ranicki trifft Gottschalk:Der vegetarische Metzger

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Marcel Reich-Ranicki erklärte Thomas Gottschalk "Aus gegebenem Anlass", wie das Fernsehen zu retten ist: Brecht in die Prime-Time, Helge Schneider raus und ein Angstregime für Intendanten.

Christian Kortmann

Um das Wesentliche zusammenzufassen, nämlich wer laut Marcel Reich-Ranicki "keine Ahnung hat": die Fernseh-Intendanten (keine Ahnung vom Fernsehen), Helge Schneider (keine Ahnung von Unterhaltung), die TV-Journalisten auf der Frankfurter Buchmesse (keine Ahnung von den wirklich berichtenswerten Szenen), Friedrich Schiller (keine Ahnung, wie man Essays an der richtigen Stelle veröffentlicht), Menschen, die behaupten, es gebe "viele Bücher" (keine Ahnung, dass es nur wenige normale Bücher gibt, und der Rest aus "Handbüchern für Hebammen" besteht), Fernseh-Regisseure (keine Ahnung von "ernsten Stoffen", die sie "versauen" und "kaputt machen"), Leute, die meinen, er hätte beim Deutschen Fernsehpreis Mut gezeigt (keine Ahnung, dass dazu kein Mut gehört, weil "in Deutschland die Gestapo nicht mehr regiert"), der Autor dieser Zeilen (keine Ahnung, dass er "Volontär oder Hospitant" sein muss, denn "erwachsene Menschen schreiben längst nicht mehr übers Fernsehen").

Thomas Gottschalk und sein Duzfreund Marcel Reich-Ranicki: "Gehört Mut dazu, zu sagen, dass man das deutsche Fernsehen für schlecht hält? Ich habe Beifall bekommen für Banalitäten." (Foto: Foto: AP)

Damit wären die Eckpunkte von Marcel Reich-Ranickis Sicht auf die deutsche Fernsehwelt markiert, die er am Freitagabend im Gespräch mit Thomas Gottschalk darlegte. Nachdem Reich-Ranicki am vergangenen Samstag in einer akuten TV-"Blödsinns"-Aversion den Fernsehpreis für sein Lebenswerk abgelehnt hatte, spendierte ihm der ZDF-Co-Intendant Gottschalk noch auf der Bühne die Sondersendung "Aus gegebenem Anlass", in der über die Qualität des deutschen Fernsehens gesprochen wurde.

Anders als geplant, verzichtete man darauf, Vertreter des Privatfernsehens einzuladen, weil das nach Gottschalks Auskunft so wäre, "als wollten wir einen Metzger von vegetarischer Ernährung überzeugen".

Also saßen sie sich bei einem Tête-à-tête im Wiesbadener Kurhaus gegenüber. Gottschalk lehnte sich um Aufmerksamkeit bemüht nach vorn, Reich-Ranicki zeterte aus dem passgenauen schwarzen Leder-Fauteuil heraus, einend wie trennend stand der verschmähte gläserne Fernsehpreis-Obelisk im Raum.

Von seiner Generalkritik, dass fast alles im Fernsehen "Blödsinn, Unsinn, kompletter Dreck" sei, wich Reich-Ranicki nicht ab. Den Einwand, dass das in jedem Medium so ist, auch in der Literatur, weil der Einzelne das massenmediale Angebot stets danach bewertet, wie minimal der Prozentsatz des auf ihn zugeschnittenen Programms ausfällt, lässt er nicht gelten. Für ihn stellt allein die Hochkultur das Reich des Wahren, Schönen und Guten dar. Eine legitime Hypothese, aus der aber kein öffentlich-rechtlicher Programmauftrag ableitbar ist.

Deshalb warb Gottschalk um Verständnis für das vom Quotendruck gebeutelte Medium und für die integrative Kraft von "Wetten, dass...?", die jedoch nur noch in solchen Eigenwerbesendungen widerspruchslos behauptet wird. Was die Mechanismen des Marktes angeht, zeigte Gottschalk sich als hellsichtiger Realist. "Wenn du übers Fernsehen weinst, musst du dich erschießen, wenn du ins Internet guckst."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie für Reich-Ranicki Atze Schröder und Helge Schneider zu einer Person verschmelzen.

Das wird er kaum tun, denn es gab in dieser denkwürdigen Woche des Zorns, die Reich-Ranicki von der Kölner Fernsehpreis-Bühne über eine Baden-Badener Bank, wo er vor Angestellten und einem Bild-Reporter dozierte, nun wieder ins Abendprogramm führte, einen Doppelcharakter zu bestaunen: zum einen den 88-jährigen Angry Young Man, der eine ganz große Meinung und einen noch größeren Furor besitzt; zum anderen einen wie in Gérard de Nervals Novelle "Sylvie" in der Vergangenheit gefangenen Romantiker, der den Anschluss an die Kultur der Gegenwart verloren hat.

Reich-Ranicki klammert sich an die Helden seiner Jugend, ja, seines Lebens: Brecht, Shakespeare, Thomas Mann, sie stehen für die Unterhaltungskultur seines Geschmacks, doch leider zugleich für eine arme Welt ohne "Dr. House", "Seinfeld" und "Schlag den Raab".

Günter Grass wies am Freitag darauf hin, dass Reich-Ranicki allzu lange keinen Widerspruch mehr gehört und dies seinem Urteilsvermögen geschadet habe. So hat sich ausgerechnet Helge Schneider, der literarischste Komödiant der Gegenwart, Reich-Ranickis besondere Abneigung erspielt. Oder meinte er Atze Schröder? Man weiß es nicht genau, er konnte sie bei Gottschalk nicht auseinander halten. Literatur und Theater sollten zwar unterhalten, sagte Reich-Ranicki, aber nur die TV-Autoren Brecht oder Shakespeare seien gegenwärtig dazu in der Lage, denn bei "Helge Schneider" sei alles schlecht.

Der absurdeste Moment aber stellte sich ein, als Reich-Ranicki ein Angstregime für die Intendanten forderte: Erst wenn sie aus Sorge um die Qualität um ihren Job fürchteten, würde sich das Fernsehen bessern.

Eine Leistung des Lebenswerks von Reich-Ranicki besteht in der Objektivierung seines persönlichen Geschmacks zum Maß aller Dinge. Vieles, was nicht in den privaten Kanon passte, hatte beim Kritiker keine Chance. Deshalb wurde das Ende des "Literarischen Quartetts" nicht als intellektueller Verlust betrauert.

Im Fernsehpreis-Konflikt wurden noch einmal die Eigenschaften deutlich, die Reich-Ranicki über die literarische Welt hinaus zum Star gemacht haben: die Bereitschaft zur Gnadenlosigkeit und der unbedingte Wille zur pointierten Meinung, für die er ein Fehlurteil gerne in Kauf nimmt.

Was Marcel Reich-Ranicki in dieser Woche zum Besten gab, war nicht immer fundiert, aber beste Unterhaltung. Sein Zorn wird wohl keine Früchte tragen, und er und Gottschalk waren auch nicht die besseren "Schmidt & Pocher". Die schönste Pointe des Abends bestand im Trailer, der auf die Sondersendug folgte: Werbung für die ZDF-Preisverleihungsgala "Echo der Stars".

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