Thriller:Die einzige Zeugin

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Die Bestseller-Verfilmung "The Hate U Give" rückt einen US-Teenager ins Zentrum der Krise um Polizeigewalt gegen Schwarze, die immer wieder Schlagzeilen macht.

Von Nicolas Freund

Eigentlich sollte die Sache klar sein: Khalil wurde ermordet, weil er schwarz war. Sonst gab es keinen Grund für seinen Tod. Aber so einfach ist es nicht für alle. Khalil ist mit seiner Jugendfreundin Starr in eine Polizeikontrolle geraten, der weiße Polizist hat ihn gezwungen, aus dem Auto zu steigen, um seine Papiere zu überprüfen. Als Khalil beim Warten in den Wagen nach seiner Haarbürste greift, zögert der Polizist nicht und schießt. Warum hat er ihn nicht erst aufgefordert, die Hände zu heben oder sie auf dem Autodach zu lassen? Er ging davon aus, dass Khalil eine Waffe zückt, denn Schwarze haben Waffen und benutzen sie, so die Annahme des Polizisten. Ein Mord aus rassistischen Vorurteilen. So hat es die junge Starr erlebt, und so wird es im Film gezeigt. Aber so sehen es nicht alle. Nicht die Kollegen des Polizisten, und auch nicht die Weißen aus den reichen Vierteln der Stadt, und nicht einmal alle anderen Schwarzen, für die jede Polizeikontrolle zur tödlichen Gefahr werden kann.

Angela Thomas schrieb "The Hate U Give", nach einer Textzeile des Rappers Tupac Shakur, erst als Kurzgeschichte und dann in Romanform, um die gesellschaftszersetzenden Konsequenzen der oft unverhältnismäßigen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA zu verarbeiten. Ihre erste Schießerei erlebte sie schon als Kind im Stadtpark von Jackson in Mississippi, während ihres Studiums wurde der unbewaffnete Oscar Grant von einem Polizisten erschossen, wenige Jahre später sorgten die tödlichen Schüsse von Polizisten auf Trayvon Martin und Tamir Rice international für Empörung. "The Hate U Give" erschien 2017 und wurde ein Bestseller.

Starr (Amandla Stenberg) hat Grund, die Waffen der Cops zu fürchten. (Foto: Fox)

Die Verfilmung von George Tillman hält sich sehr nah an die Romanvorlage. Wie in dieser werden die verschiedenen Formen des Rassismus durchgespielt. Starr ist die einzige Zeugin der Schüsse auf Khalil, und eine Anwältin, die sich für Bürgerrechte einsetzt, möchte, dass sie im Fernsehen ein Interview zu dem Vorfall gibt. Damit würde sie sich aber mit der örtlichen Gang anlegen, bei der auch ihr Vater Mitglied war und für die Khalil als Drogenkurier gearbeitet hat. Sagt sie aus, sorgt sie vielleicht für Gerechtigkeit für Khalil, bringt aber sich und ihre Familie in Gefahr. Sagt sie nicht aus, bleibt der Tod ihres Freundes womöglich ungesühnt. Starr steht als tragische Figur an jener Grenze, die der alltägliche und der strukturelle Rassismus durch die Gesellschaft zieht. Amandla Stenberg meistert alle diese Zustände, in die Starr gezwungen wird.

Auch zu Hause in ihrem Viertel, wo vor allem Schwarze leben, steht sie abseits, weil sie nicht zu den Gangs gehören möchte und eine private High School besucht. Als Kind spielte sie mit Khalil Szenen aus "Harry Potter" nach, und auf viele ihrer alten Freunde wirkt es, als habe sie es wirklich nach Hogwarts geschafft, so weit weg ist für sie diese Schule, die sich nicht viele Schwarze leisten können. Dort wird Starr natürlich demonstrativ von allen akzeptiert, aber für sie gelten trotzdem etwas andere Regeln als für die restlichen Schüler, denn wenn sie nicht das schwarze Mädchen aus dem armen Viertel sein möchte, muss sie perfekt angepasst sein, darf sich nichts zuschulden kommen lassen und nichts von den Problemen zu Hause erzählen. Selten eindrücklich zeigt der Film, was es heißt, immer perfekt sein zu müssen, nur um wenigstens keinen offensichtlichen Rassismus auf sich zu ziehen. Starrs sehr weiße und sehr blonde Freundin verteidigt den Polizisten, der sich ja im Zweifel selbst schützen müsse, und man kann davon ausgehen, dass sie das ohne absichtlich rassistische Motive tut, aber aus der Perspektive eines schönen, beliebten, privilegierten, weißen Mädchens heraus. Sie kann sich Starrs Perspektive gar nicht vorstellen - und versucht es auch nicht. Die Mitschüler tun so, als gäbe es keine Hautfarben. Damit sorgen sie aber nicht für mehr Gerechtigkeit, sondern verdecken Probleme. Als für Khalil demonstriert wird, ist das ein willkommener Grund, die Schule zu schwänzen.

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Sehr schematisch, fast essayistisch leuchtet der Film die oft ignorierten anderen Perspektiven und die vielen toten Winkel im Umgang mit Rassismus aus. Das wirkt sehr pädagogisch und am Ende eigentlich etwas zu konstruiert und erbaulich. Gerade diese Klarheit ist aber auch die große Stärke des Films, der gesellschaftliche Probleme vorführt, die zu erkennen und zu bekämpfen selbstverständlich sein sollte.

The Hate U Give , USA 2018 - Regie: George Tillman. Buch: Audrey Wells. Kamera: Mihai Malaimare. Mit: Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby. Verleih: Fox. 133 Minuten.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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