Thriller:Der Tod ist keine Illusion

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Ursula Poznanski führt uns in ihrem SF-Roman nach "Cryptos", in künstliche, alternative Welten, in denen plötzlich ganz real Tod und Gefahr herrschen.

Von Fritz Göttler

Die Namen sind Programm, Cretaceous, SeaMe, Tjost, Macandor, teilweise inspiriert von aktuellen Rollenspielen im Internet. Es sind Namen von künstlichen, alternativen Welten, die eine kindlich wunderliche Mischung aus Angst und Staunen verheißen, in denen die Menschen in Zukunft verweilen dürfen, wenn sie die entsprechenden Zugangspässe haben. Auch alte, längst untergegangene Städte sind dabei, rekonstruiert, Venedig oder Mumbai oder London, im Jahr 1622. Alles rein imaginär, in Wirklichkeit liegen die Menschen - man kennt das aus den Matrix-Filmen - in Kapseln, die sie nur kurz, für Realitätsstopps, verlassen. Die alte Konfrontation vom falschen und wahren Leben stellt Ursula Poznanski radikal auf den Kopf in ihrem neuen Roman "Cryptos".

Die idyllischste dieser zahllosen Kunstwelten ist Kerrybrook, für Jana Pasco jedenfalls. Irisch grüne Wiesen, geduckte Häuschen, eine Burgruine, grasende Schafe, Pubs, vom Meer her der Geruch nach Salz und Seetang ... Jana ist stolz auf Kerrybrook, sie hat diese Welt nämlich geschaffen. Sie ist Weltendesignerin, eine von vielen, angestellt beim Großunternehmen Mastermind. Als Schöpferin ist sie auch verantwortlich für ihre Welt, deshalb muss sie nun herauskriegen, was es mit den Merkwürdigkeiten dort auf sich hat. Bewohner sind plötzlich verschwunden, ein Fischer, klettert auf die Reling seines roten Bootes, springt ins Wasser, geht unter und taucht nicht wieder auf. In einer Gasse vor dem Rathaus kriecht eine Frau über das Pflaster, sie hat ein Messer im Rücken.

Normalerweise ist auch das Sterben nichts Endgültiges in der Welt der Spiele, es bedeutet einfach eine Rückkehr in die Realität und kurz darauf den Transfer in eine neue Welt. Aber nun gibt es ,tödliche' Todesfälle der Tod ist keine Illusion mehr - was, wie Jana erkennen muss, mit der Politik von Mastermind zu tun hat. Die größte imaginäre Freiheit wird aufrechterhalten durch radikale Überwachung und Kontrolle. Eine Spaßdiktatur. Nach gefährlichen Irrwegen landet sie mitten im Herzen des Widerstands gegen Mastermind, in der ganz besonderen Welt von Cryptos.

Die Welt ist heruntergewirtschaftet, das Klima, die Ernährung, die Luft. Das ,Leben' in den Kapseln und imaginären Welten ist ökologisch begründet, ist einfach billiger und ressourcenschonend. Nur ein paar müssen Menschen die notwendigen Arbeiten in der realen Welt erledigen. Und die Zahl der Gesamtbevölkerung wird problematisch ...

Auf einer fantastischen tour de force, in einem irrwitzigen Wechsel der Welten, wie Ursula Poznanski ihn virtuos beherrscht, wird Jana, als sie ihren Designerstuhl verlässt, mit Elfen und Sylphiden (aber auch Gornaks) konfrontiert, mit T-Rex, Iguanodon, Triceratops., sie in Trokar, der Strafkolonie, mit ihren grausamen Menschenjagden. Und am Ende in der Welt, die über die Zukunft der Menschheit entscheiden wird, Minus3.

Und manchmal ist da auch eine Nacht in einer Welt, an die wir uns nostalgisch erinnern dürfen - das Hippie-Strandleben der Sechziger und Siebziger, in SeaMe, Lagerfeuer, Grillen, Gitarrespiel. Ein Lied, das Jana nicht kennt, "über ein Mädchen namens Michelle, der Text ist teils englisch, teils französisch".

Ursula Poznanski: Cryptos. Thriller. Loewe Verlag, Bindlach 2020. 345 Seiten, 11,95 Euro.

© SZ vom 28.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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