Thomas Ruff in der Kunstsammlung NRW:Mit fremder Kamera

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Von der südlichen Hemisphäre bis zum Porno: In Düsseldorf wird der Fotograf Thomas Ruff gezeigt. Und auch wenn der Bogen von frühen Arbeiten bis zu den aktuellsten, digital manipulierten Motiven reicht, will der Starkünstler die Schau nicht als Retrospektive verstanden wissen.

Von Alexander Menden

Thomas Ruffs launige Bemerkung bei der Eröffnung seiner Werkschau in Düsseldorf, der "Parteitag" habe hiermit offiziell begonnen, ergab sich ziemlich zwangsläufig aus seinen eigenen Bildern. Die "Tableaux chinois", die Ruff aus Zeitschriftenserien maoistischer Propagandabilder auswählt und durch Verfremdung in ihrem manipulativen Optimismus entlarvt, haben ja tatsächlich auf den ersten Blick einen grotesk-totalitären Charme. Erst beim genauen Hinsehen erkennt man die von Ruff vorgenommenen Verpixelungen - die Landschaft hinter den fröhlich am Feldtelefon schwatzenden Pionierinnen löst sich ebenso in Kästchen auf wie die Seidenbänder sich lächelnd verbiegender Akrobatinnen oder der Kragen Mao Zedongs selbst. Dessen Porträt mutiert durch die vergröbernde Intervention, zudem auch noch gigantisch aufgebläht, zu einer hypertrophen Propaganda-Parodie.

Ist ein Pornobild noch ein Pornobild, wenn die Frauen in neue Pixel gehüllt wurden? Thomas Ruffs „nudes pea10“ (1999). (Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Thomas Ruff K20)

Die Frage, inwieweit es sich bei den Fotos, die derzeit im Museum K 20 der Kunstsammlung NRW zu sehen sind, wirklich um Ruffs eigene handelt, berührt den Kern der gesamten Schau. Sämtlich in den vergangenen 20 Jahren entstanden, sind sie keine wirklichen Readymades, denn Ruff hat sie ja in vielen Fällen verändert. Sie sind aber auch keine "genuinen" Ruffs, denn was fast alle Bilder der Schau - die Ruff selbst ungern als "Retrospektive" bezeichnet - vereint, ist der Umstand, dass der Fotograf das Quellenmaterial nicht selbst aufgenommen hat. Er hat vielmehr gefundenes Material einem Prozess unterzogen, der mit subtilem Nachdruck auf die Gemachtheit der Fotos, in Teilen auch auf die Folgen der Digitalisierung für die Fotografie hinweist.

Transfer ist der Begriff, unter dem sich die heterogenen Bilder zusammenfassen lassen

Als einer der prominentesten Exponenten der von Bernd und Hilla Becher geprägten Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie, der sogenannten "Düsseldorfer Fotoschule", waren konzeptbetonte Serien von Beginn an Kern der Arbeit des heute 62-Jährigen. Den Schritt zur Bearbeitung fremder Bilder unternahm er erstmals mit seinen "Sternen", als er 1989 auf einen vom European Southern Observatory herausgebrachten Fotoatlas der südlichen Himmelshemisphäre zurückgriff. Der Grund war vor allem ein technischer: Die Ausrüstung, die man für eine derart genaue Abbildung des Nachthimmels brauchte, stand selbst Fotografen vom Range Ruffs damals einfach noch nicht zur Verfügung. Ähnlich verfuhr er zwischen 2010 und 2014 mit den 3-D-Bildern, die der Mars Reconnaissance Orbit er, eine Raumsonde, von der Oberfläche des Mars gemacht hatte. In Düsseldorf bekommt man eine 3-D-Brille, um sie betrachten zu können. Ruff vollzieht mit der Übernahme der Bildausschnitte aus solchen Dokumenten einen Transfer von der Wissenschafts- in die Kunstfotografie, ohne an optischer Genauigkeit zu verlieren - ein Akt lupenreiner konzeptueller Umwidmung.

Statt einen Titel zu erfinden, sortiert der Fotograf auch die Katastrophe unter einem Kürzel ein: „jpeg ny01“ (2004). (Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2020 T. Ruff K20)

Transfer ist letztlich der Begriff, unter dem sich all die heterogenen Bildergruppen der Düsseldorfer Ausstellung am schlüssigsten zusammenfassen lassen, die ausschließlich aus Leihgaben des Künstlers selbst besteht. Das beginnt bei den "Zeitungsfotos". Zwischen 1981 und 1991 sammelte Thomas Ruff 2500 Pressefotos aus sämtlichen Sparten deutschsprachiger Tages- und Wochenzeitungen. Die Auswahl aus dieser Sammlung, die in Düsseldorf eine ganze Wand bedeckt, ist, jeder redaktionellen Absicht entkleidet, ein assoziatives Puzzle: Jeder entdeckt darin die Menschen, die er kennt: Saddam Hussein, Alexander Schalck-Golodkowski, Karpow und Kasparow im Duell. Andere Bilder, vor allem Ereignisse, muss man sich zusammenreimen, oder sie werden, wie eine Straßenschlacht in Paris oder ein Space-Shuttle-Flug, stellvertretend zu allgemeingültigen Sinnbildern ähnlicher Ereignisse.

Zeigt Thomas Ruffs „tableau chinois“ (2019) nicht auch einen bekannten Politiker? (Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Thomas Ruff K20)

Für die "Nudes", eine seiner bekanntesten neueren Serien, hat Thomas Ruff winzige Jpeg Thumbnails von Porno-Seiten kopiert und groß gezogen. Der Effekt ist ähnlich wie bei den chinesischen Propagandabildern - mit dem Unterschied, dass bei den "Nudes" die Verpixelung der geringen Auflösung der Bilder selbst entspringt, während Ruff sie bei den "Tableaux chinois" nachträglich in analoge Bilder eingebaut hat, als Sinnbild des "pseudodigitalen Fortschritts" in China, mit dem das politische System nicht Schritt halte. Durch die verwischte Optik, die weniger an Zensur als an eine Traumästhetik erinnert, gewinnen die "Nudes" hingegen etwas von der "Ungenauigkeit einer nicht inszenierten Fantasie", wie der britische Kritiker Geoff Dyer es einmal formulierte. Sie werden also gleichsam zum Gegenteil dessen, was Pornografie ist.

In einer Welt, die komplett von manipulierten und manipulierenden Bildern beherrscht ist, in denen Aufhübschungs-Apps notwendige Werkzeuge der Selbstrepräsentation sind und die Zweckgebundenheit der Bilderflut durch ihre Perfektion vertuscht wird, ist Thomas Ruffs Umgang mit Bildern wie eine Wohltat. Der "entscheidende Moment" der Aufnahme, von dem Henri Cartier-Bresson immer sprach, ist ohnehin längst Geschichte. Doch nur wenige, die mit der Produktion eigener Bilder so erfolgreich sind wie Thomas Ruff, würden sich so kompromisslos wie in dieser Ausstellung der Problematik ihrer gnadenlosen Funktionsgebundenheit stellen.

Thomas Ruff. K 20 - Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Bis 7. Februar 2021. Katalog 34 Eur o. Info: www.kunstsammlung.de.

© SZ vom 15.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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