Theater:Lebensstrotzend

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Viele Fragen, keine Antworten: Nástio Mosquito fordert im Boxring sein Publikum heraus. (Foto: Judith Buss)

Wie das "Spielart"-Festival zum sozialen Ereignis wird

Von Egbert Tholl, München

Irgendwann beschloss Nástio Mosquito, eine soziale Skulptur zu werden. Vor vier Jahren verließ er Luanda, lebt jetzt in Gent, war bei der Venedig-Biennale, drehte Filme, darunter einen, der "Fuck Afrika" heißt und den man gern mal sehen würde, und ist bei "Spielart" im Keller. Im Boxkeller MTV, wo, bevor Mosquito herumschwirrt, man zwei Trainingskämpfe anschauen kann, einmal zwei Frauen, dann zwei Männer, ganz friedlich. Schließlich reklamiert Nástio Mosquito einen Boxring für sich und überrollt einen mit Fragen ohne Antworten, mit Aufrufen und viel breiter, großer, elektrischer, pathetischer Musik, zu der er singt, als verkörpere er allein eine Oper des schwarzen Kontinents.

Man weiß bei ihm nicht genau, ist er aggressiv (eher nicht), neugierig (sehr), eine Diva (ja!) oder einfach jemand, mit dem man stundenlang reden könnte, käme man selbst zu Wort. Letzterer Eindruck stellt sich vor allem im Festivalzentrum vor der Philharmonie ein, wo "Spielart", ohnehin ein extrem niederschwelliges Festival, zu dem sozialen Ereignis wird, in das die lebensstrotzende Skulptur Mosquito gut hineinpasst. Besonders lustig: seine hartnäckige Weigerung, ein Utopist zu sein, obwohl er sehr tief an das Gute im Menschen glaubt.

Woran Krsitóf Kelemen und Bence György Pálinkás glauben, ist ebenfalls klar: an die Kraft eines grandiosen Blödsinns. Im Hoch X widmen sich die beiden ungarischen Theaterleute einem Baum, der "Hungarian Acacia", der nationalheiligen Akazie also, die als Einwanderin nach Ungarn kam. In diesem post- oder eher satirefaktischem Dokutheater huldigen dann auch Fidesz-Politiker dem eingereisten Baum, obwohl die Partei sich ja eher an allem stört, was sich nicht im Zentrum ihres engen, nationalkonservativen Weltbilds steht. Also an praktisch allem, dabei sind die Ungarn doch eigentlich so einsam, weil sie kein anderes Volk versteht. Nur auf dem Theater, da läuft's.

Dann gibt es da noch eine völlig bizarre Geschichte, die auf der Insel Nauru, östlich von Papua-Neuguinea situiert ist. Anfang der Siebzigerjahre war sie die reichste Insel der Welt, weil sie den Phosphor, den viele Vögel Jahrtausende lang dort hinterlassen hatten, nun selbst abbaute. Davor hatten sich verschiedene Kolonialherren auf ihr abgewechselt, zuerst waren die Deutschen gekommen.

Doch der Reichtum implodierte, die Insel war zerstört, pleite - und sie lebt heute davon, dass Australien Flüchtlinge, die es nicht im Land haben will, dort interniert. Diese Geschichte konnte einem bereits im Sommer beim Zürcher Theaterspektakel begegnen, dargestellt von australischen Jugendlichen unter der Anleitung von Samara Hersch und Lara Thoms. Nun zeigen sie Silke Huyamans und Hannes Dereere aus Belgien, zeigen ihre heimlichen Recherchen mittels Smartphone, zeigen weniger Historie, mehr politischen Irrsinn. "Pleasant Island" ist ein szenischer Essay mittels Handy-Oberfläche.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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