Theater:Götter spielen Mensch

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Tina Lanik inszeniert "Kreise / Visionen" im Marstall

Von Christiane Lutz, München

Ein Kreis steht für Unendlichkeit. Ein Kreis steht aber auch für Wiederholung. Fürs nicht von der Stelle kommen. Die vier Freunde jedenfalls, die sich im Wald verirrt haben, ärgern sich, im Kreis gelaufen zu sein. In "Kreise / Visionen" des französischen Autors Joël Pommerat steht der Kreis für diese negative Wiederholung. Tina Lanik hat das Stück im Marstall inszeniert. Da war sie lang nicht mehr, meist arbeitet sie im Residenztheater, zuletzt inszenierte sie "Die Troerinnen". Die Bühne von Stefan Hageneier ist, nein, nicht kreisförmig, sondern ein weißes, leeres Quadrat, weiß überdacht. Die Zuschauer sitzt an allen Seiten, sehr nah am Geschehen. Acht Schauspieler erzählen acht verschachtelte Geschichten aus verschiedenen Epochen: ein Aristokrat, der sich in seinen Diener verliebt. Ein moderner Macbeth, der mit seiner Frau seine nächsten Karriereschritte plant. Ein erfolgreicher Unternehmer, der Arbeitslosen Selbstvermarktungstipps gibt und am Ende selbst zum Bittsteller wird. Es sind Geschichten über Machthunger, über Machtmissbrauch. Es geht auch um den Glauben an Gott, wahlweise an das Schicksal. Pommerat will nicht weniger, als hier ein paar der universellen Probleme der Menschheit auffächern. Die Szenen sind allerdings von sehr unterschiedlicher literarischer Qualität, was vielleicht damit zu tun hat, dass Pommerat seine Texte stets gemeinsam mit seinen Schauspielern und somit auch immer für sie entwickelt.

Tina Lanik gelingt es dennoch, die Szenen zu etwas Allumfassendem, zu einer Art großer Menschheitsfabel zu verweben. Die Schauspieler bilden eine homogene, choreografierte Einheit. Alle tragen den gleichen lila Frack und eine gepuderte Glatzenperücke mit weißen Haarresten (Kostüm ebenfalls Stefan Hageneier). Sie verschmelzen zur lila Kugel und lösen sich voneinander, fließen in die einzelnen Szenen, verbinden sich wieder. Optisch bewegen sie sich irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Gott, so dass der Zuschauer sich mal im weißen Himmelsstübchen, von wo aus das Schicksal der Menschheit gelenkt wird, mal in einer Manege wähnt. Der Zuschauer befinde sich in einer Revue, beteuern die acht immer wieder. Diese Figuren wissen mehr, als sie zugeben.

Sie funktionieren als Stellvertreter der erzählten Geschichten, nicht als tatsächlich Betroffene. Hier spielen die Götter Mensch. Und darin liegen die Stärke und die Schwäche der Inszenierung. Stärke deshalb, weil diese Entindividualisierung der Figuren die Geschichten exemplarisch wirken lässt für etwas Größeres, man möchte fast sagen: für die ewige Wiederholung menschlichen Versagens. Schwäche deshalb, weil für den Zuschauer trotz der räumlichen Nähe eine große Distanz zu den Geschichten bleibt. Man traut den Figuren nicht.

Trotz charmanter Musikeinlagen und trotz Aufforderung der lila Spielleiter, jeder möge sein eigener Gott werden, also selbst Verantwortung übernehmen, gelingt es Lanik nicht ganz, den Eindruck des Gefühls der Sinnlosigkeit des menschlichen Bestrebens zu verwischen. Aber das ist vor allem Pommerats Text anzulasten, dem vielleicht ein paar mehr Visionen statt noch mehr Kreise gut getan hätten.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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