Theater:Genets Skandalstück verpufft in Wien

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Wien (dpa) - Johan Simons hatte düstere Vorahnungen für diesen Theaterabend.

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Wien (dpa) - Johan Simons hatte düstere Vorahnungen für diesen Theaterabend.

„Ich habe schon zu den Schauspielern gesagt: Ich brauche sowieso nur fünf Minuten zu inszenieren, dann werden die Aktivisten die Bühne stürmen. Aber in diesen fünf Minuten müsst ihr euer Bestes geben“, sagte der Regisseur im „Kulturspiegel“-Interview. Trotz einiger Kritik vor der Premiere von Jean Genets „Die Neger“ bei den Wiener Festwochen lief die Aufführung jedoch störungsfrei ab. Simons' Inszenierung des selten gespielten Stoffes ließ das Publikum eher ratlos als wütend zurück.

Groß war die Empörung in den Wochen vor der Premiere gewesen: Über den Titel und über die schwarz geschminkten Gesichter, die schwarzen Masken der Darsteller. Simons war sogar bereit, den Titel des 1959 uraufgeführten Stücks des französischen Autors zu ändern, doch Übersetzer Peter Stein lehnte ab. Bei der Premiere am Dienstagabend im Wiener Theater Akzent wird jedoch schnell klar: Ein anderer Titel hätte wohl wenig bewirkt. Das N-Wort wird im Text unzählige Male benutzt.

Auch sonst sind Sprache und Handlung des Stücks wenig zimperlich. Archibald Wellington, charismatisch dargestellt von Felix Burleson, dem einzigen schwarzen Darsteller im Ensemble, hat einen Alptraum. In seinem Kopf erlebt er die Vergewaltigung und Ermordung einer weißen Frau samt anschließendem grotesken Straftribunal. Schnell wird klar: Rassistische Klischees werden hier hemmungslos zugespitzt, den „Weißen“ - auch im Publikum - wird ein Spiegel vorgehalten. Das minimalistische Bühnenbild und die Masken der Schauspieler, die jegliche Mimik unterbinden, geben der Sprache zusätzlichen Raum. Wie Faustschläge prasseln die Beschimpfungen und Erniedrigungen nieder.

„Ich komme aus einem Land, das ab dem 16. und 17. Jahrhundert eine der führenden Kolonialmächte Europas wurde, auch im großen Stil am Sklavenhandel mit Niederlassungen in Westafrika beteiligt war. Unsere Vorfahren haben geplündert und ausgebeutet“, sagte der niederländische Regisseur Simons vorab. Mit dieser Geschichte müsse man sich auseinandersetzen, Rassismus und Ausbeutung seien keinesfalls verschwunden.

Ob das Stück des Außenseiter-Poeten Genet dafür das richtige Mittel ist, bleibt jedoch auch 55 Jahre nach der Uraufführung offen. Schon damals erntete das Stück Zuspruch aus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, erzielte in New York zwischen 1961 und 1964 mit rund 1400 Vorstellungen einen Off-Broadway-Rekord. Manche Aktivisten lehnten das Stück jedoch ab.

Die Inszenierung bei den Wiener Festwochen zielt zudem noch in eine andere Richtung. Nicht nur historische Gräueltaten Weißer gegen Schwarze werden aufgegriffen. Die zeitlosen, formlosen Verkleidungen der Darsteller der von Simons geleiteten Münchner Kammerspiele und des Deutschen Schauspielhauses Hamburg zielen auf die grundsätzliche Entlarvung menschlicher Vorurteile. Wem man eine diskriminierende Vorstellung überstülpt, zum Beispiel als barbarischem Gewalttäter, der verhält sich auch so, lautet die Botschaft. Die Kulisse, die mit einem „realen“ Afrika nichts gemeinsam hat, verstärkt diesen Effekt.

Das Publikum in Wien nimmt dies alles mit gemischten Reaktionen auf. Die meisten Zuschauer spenden höflichen Applaus. Andere verlassen den Saal nach der zweistündigen Aufführung kommentarlos. Ausschreitungen gibt es nicht. Ob diese Inszenierung Genets Stoff allerdings zu neuer Popularität verhelfen wird, bleibt eher fraglich.

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