Teheran-Roman "Stadt ohne Himmel":Ein Tag im Leben des Folterers

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Albträume eines Gefängnisdirektors: Mit "Stadt ohne Himmel" beendet der persische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan seine Roman-Trilogie über die Stadt Teheran - erneut aus der Perspektive einer zweifelhaften Hauptfigur.

Hans-Peter Kunisch

Amir Hassan Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, als Elektroingenieur ausgebildet, aber seit über dreißig Jahren Schriftsteller, kann im Iran, wo er nach englischem Studium, italienischem Exil und DAAD-Stipendium wieder lebt, nicht oder nur nach massiver Zensur gedruckt werden. "Teheran Revolutionsstraße", der erste Band einer Trilogie, in deren Zentrum die iranische Hauptstadt steht, erschien 2009 als Weltpremiere auf Deutsch und ist noch heute in Farsi nicht zu haben. Doch Cheheltan macht es auch seinen westlichen Lesern nicht leicht. Der mehr oder minder positive Held, in den man sich anstrengungslos einfühlt, Wunschtraum heutiger verlegerischer Wellnessprogramme, fehlt. So auch in "Teheran, Stadt ohne Himmel", dem jetzt erschienenen, abschließenden Band der Trilogie.

Besonders perfide wirkt, dass Cheheltan jeweils in der Perspektive seiner zweifelhaften Hauptfiguren bleibt. Schon in "Teheran Revolutionsstraße" merkt man, wie schnell dabei die Grenzen des "guten Geschmacks" fallen - ganz im Zeichen gelebter Wirklichkeit: Hauptfigur ist der Arzt Fattah, der in der Auftakt-Szene des Romans das Jungfernhäutchen von Schahrsad zunäht, nicht ohne "die Hure", die heiraten will, dabei anzüglich moralisierend zu verachten, sehr zur Freude der Krankenschwester. Despotische Launen manifestieren sich manchmal auch "positiv". Fattah - ein Pfuscher, der eine Ausbildung als Krankenhelfer genossen hat - nimmt viel Geld für seine Dienste, beschäftigt ein Heer von Ärzten als Helfershelfer, doch wenn er Gefühle hegt oder Gelüste hat, zahlen Mütter und Tanten der Mädchen auch mal bloß die Hälfte.

In "Teheran, Stadt ohne Himmel" wird Keramat, Direktor des Foltergefängnisses "Evin", den Fattah gern im Dampfbad trifft, zur Hauptfigur. Cheheltan zeichnet die beiden charakterlich als nahe Verwandte, aber auch als Schicksalscousins. Als Heimkind per Gangsterbande in die Machtelite des korrupten Staats aufgestiegen, kultiviert Keramat, älter geworden, die Opferrolle: Weinerlich beklagt der Macho Albträume, die er am nächsten Morgen zugunsten neuer Folterbefehle vergisst.

Zum Sympathieträger gemacht?

Der Roman spielt an einem einzigen Tag in Keramats Leben. Anfangs weiß man nicht, dass es sein letzter ist. Der Text beginnt nicht drastisch wie "Teheran Revolutionsstraße", eher im Gegenteil: der Direktor des Foltergefängnisses wird daheim mit Gattin besucht, aber die anfängliche Harmlosigkeit täuscht. Indem Cheheltan tief in Keramats Bewusstsein eintaucht, vermeidet er auch diesmal Wertungen. Man ist immer wieder versucht, Keramat zu "verstehen", und zuckt im selben Moment irritiert zurück. Kann es sein, dass der Chef-Folterknecht eines tyrannischen Systems zum Sympathieträger gemacht wird?

Geschickt raut Cheheltan Keramats Oberfläche nach und nach auf, öffnet, am Leitfaden eines schillernden Lebens, dabei auch den Blick auf den Iran in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Nachdem er in "Amerikaner töten in Teheran", dem Mittelteil der Trilogie, historisch wichtige Episoden beleuchtete, spiegelt Cheheltan nun die Geschichte in einer einzigen Hauptfigur. Zuerst sind es einzelne Zeilen, die an Keramats Kindheit und Jugend erinnern, bis am Ende ganze Abschnitte daraus werden. Erst erfährt man nur ansatzweise von Keramats Rolle bei politischen Umstürzen; gegen Ende des Textes wird er als halb skrupelloser, halb bewusstloser Dauer-Opportunist sichtbar.

Wichtig ist die anfangs etwas holzschnittartig wirkende, dann immer differenziertere Psychologie des Helden. Von einem englischen Unteroffizier mit zwölf für den ersten Geldschein missbraucht, fühlt sich der alternde Keramat, der sich immer häufiger erinnert, rückblickend auf der Verlierer-Seite, zugleich bäumt er sich kraftvoll dagegen auf. Was zu einem übermächtigen Popanz-Ich führt, das nicht anders kann, als sich zum omnipotenten Frauenhelden zu stilisieren. Keramats Leben ist, so sähe er es an guten Tagen gern, eine einzige Erfolgsgeschichte.

Offensichtlich setzt Cheheltan das nicht nur als Projektion. Der Missbrauch in der Jugend, der in einem Gangster-Initiationsritus seinen Höhepunkt findet, bei dem Keramat vor den Augen des Gangster-Bosses sein erstes Mal mit einem Mädchen absolvieren muss, bevor ihn der Boss mit einem heißen Eisen auf dem Hintern brandmarkt und, im Buch nur angedeutet, selber vergewaltigt, macht den Jungen früh zum Träger beachtlicher erotischer Energie.

Er macht immer das, "was alle machen"

Gerade in der "verweichlichten" Teheraner Gesellschaft zu Schah-Zeiten feiert Keramat Erfolge in Serie, obwohl er ein Gesellschaftstölpel ist, der nicht weiß, was er mit Frauen zu reden hätte. Es geht ihm, eher simpel, darum, sie umzunieten. Und doch nicht nur. Wie Fattah aus "Teheran Revolutionsstraße" hat Keramat seine empfindsame Seite. Der Folterknecht spielt sich auch als Retter der Unschuld auf, wie er es in den schnulzigen Filmen seiner Jugend gesehen hat. Schon damals war es ihm und seinen Kollegen, neben eigenen Eroberungen, darum zu tun, "24 Stunden lang" Sitte und Anstand zu verteidigen, junge Mädchen vor der Sünde zu "retten".

Keramat ist einer, der mitläuft. Er macht immer das, "was alle machen", er treibt es nur auf die Spitze. Ein schöner Beleg dafür ist sein Unterarm, auf dem er sich den Schah und Farah Diba hat eintätowieren lassen, und trotzdem beteiligt sich Keramat am Sturz des Despoten. Zweimal zeigt Cheheltan, wie es Keramat gelingt, ansatzweise über den Schatten seines Egos zu springen: der rücksichtslose Verführer heiratet Gontsche, die junge Tochter eines Kramladenbesitzers, hat mit ihr drei Kinder und versucht als Foltergefängnis-Direktor ein "normales Leben" zu führen.

Doch da kommt Tala zurück, seine größte Liebe, eine reiche Kurtisane aus der Gesellschaft um den Schah, die Keramat einst angebetet hat. Jetzt möchte sie, die seit Jahren im kanadischen Exil lebt, ihre Villen zurück, Keramat soll ihr dabei helfen. Doch je älter der Tag wird, an dem sich die Romanhandlung begibt, desto mutloser wird dieser Held. Er sei "ein anderer geworden", er sei verheiratet, er könne nicht mehr schlafen, erzählt er Tala, und zugleich kommen die peinigenden Erinnerungen der Jugend immer häufiger wieder hoch.

Privat wie politisch bleibt der schillernde Jammerer, dessen stark schwankende Bewusstseinszustände die Übersetzung ab und an etwas volkstümelnd, aber meist beeindruckend stilsicher ins Deutsche bringt, ambivalent aggressiv bis zu seinem gewaltsamen Ende. Und Cheheltan ist mit dem abschließenden Band seiner Trilogie eine mal peinigend direkte, dann wieder verwirrend satirische, nie gleichgültig lassende Darstellung eines hochexplosiven Charakters und eines nicht minder schwierigen Landes gelungen.

© SZ vom 18.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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