Sollte jemand vergessen haben, wie das war mit der Apartheid, als Rassismus noch das privateste Stück Leben prägte, der lernt bei Malla Nunn das Frösteln, jenseits wohligen Krimischauders. Die Autorin schickt ihre Leser auf eine Zeitreise, ihr Detective Sergeant Emmanuel Cooper ermittelt im Südafrika der frühen Fünfzigerjahre, "Zeit der Finsternis" ist bereits der vierte auf Deutsch vorliegende Roman der in Swasiland geborenen Autorin, die nach ihrem ersten Buch noch "überwältigt war vor Scham", weil sie das "reale Leid" ihrer Familie für einen "African Noir" benutzt hatte, um "zu unterhalten, anstatt aufzuklären". Die Eltern, ein gemischtes Paar, waren in den Siebzigerjahren vor der Rassendiskriminierung geflohen und nach Australien ausgewandert, Malla war da gerade zwölf.
Die Zweifel am eigenen Tun hat die Au-torin inzwischen wohl hinter sich gelassen, glücklicherweise auch einen gewissen pädagogischen Impetus. Ihre politischen Botschaften vermittelt Malla Nunn trotzdem, under cover sozusagen, beispielsweise indem sie sich ganz auf die Freundschaft ihres "gerade noch als weiß eingestuften" Detective Cooper mit Constable Samuel Shabalala, einem Zulu-Ermittler von der Native Detective Branch, konzentriert. Das Trio komplettiert Dr. Daniel Zweigman, der das KZ Buchenwald überlebt hat.
Cooper schwebt zwischen den Welten, was einen beträchtlichen Balanceakt erfordert. Er hat sich nach Johannesburg versetzen lassen, um sein privates Glück zu genießen, mit seiner dunkelhäutigen Davida und dem gemeinsamen Baby. Dieses Glück muss angesichts der Rassegesetze geheim bleiben, es ist Coopers Sicherheitsrisiko, das er mit einem dehnbaren Verhältnis zu Gesetz und Wahrheit absichert. Denn Cooper ist einfach hingerissen von seiner wunderschönen Frau, die als heimliche Tochter eines Weißen mit einer Farbigen vom Doppelspiel selbst eine Menge weiß. So geht es nicht zuletzt um moralischen Rigorismus und was die Wirklichkeit damit macht, und natürlich auch um Opfer und Täter, wobei man länger rätseln darf, wer zu welcher Kategorie gehört. Als Cooper zum Ort eines Verbrechens gerufen wird, in einem feineren Viertel in Johannesburg, ist er der einzige Polizist, der an den Aussagen von Cassie zweifelt, der Tochter eines ermordeten weißen Lehrers, die zwei junge Schwarze der Gewalttat beschuldigt. Einer der Jungs ist, zu allem Unglück, der Sohn von Coopers Freund Shabalala.
In Südafrika öffnen sich die Wunden, die die Apartheid schlug, immer wieder
Die Aussagen eines weißen Mädchens gelten, das weiß der Detective, gewöhnlich als "Evangelium", sie können einen jungen Schwarzen im Handumdrehen vernichten. Dann gibt es da noch einen unbekannten halbtoten Schwarzen im Garten des Lehrers. Weil dessen Überleben und mögliche Zeugenschaft davon abhängt, ob die Eingeborenen-Ambulanz rechtzeitig eintrifft, spielt Cooper mit seinem Doktor-Freund ein wenig Schicksal. Mit seiner Wissbegier erregt er schnell das Misstrauen seines Chefs, wird beurlaubt und ermittelt von da an auf eigene Faust, natürlich unter tätiger Mithilfe seiner beiden Kumpels.
Damit gewinnt die Handlung an Fahrt, es geht nach Sophiatown, einst eine legendäre Township von Johannesburg, ein Ort der Armut und der Gegenkultur, eine Wiege des afrikanischen Jazz. Hier gediehen politischer Widerstand und auch mafiöse Verbrecherbanden, hier lässt sich das Verbot sexueller Beziehungen über Rassengrenzen hinweg nicht so leicht durchsetzen. Emmanuel Cooper hatte eine Kindheit in Sophiatown, "als weißhäutiges Kaffernkind", das hier lernte, hart im Nehmen und im Austeilen zu werden. Seine Kollegen bedienen sich gelegentlich seiner Vorkenntnisse auf diesem verwirrenden Terrain. Cooper wollte seine Vergangenheit hinter sich lassen, indem er als Soldat in den Krieg in Europa zog. Geblieben sind ihm davon "mehrere Orden für das Menschentöten", und die Erinnerung an einen militärischen Vorgesetzen, der ihm als mahnende innere Stimme dient.
In Südafrika öffnen sich die Wunden, die die Apartheid schlug, immer wieder. Gerade wird diskutiert, ob rassistische Hassreden als Verbrechen mit Gefängnisstrafen belegt werden sollten. Europa kennt alten Rassismus und erlebt gerade wieder neuen. Das Finale in "Zeit der Finsternis" ist furios, auch wenn die Auflösung dann doch ein bisschen schwarz-weiß daherkommt. Aber Cooper, diesem zerrissenen, gerissenen Ermittler folgt man in diesem differenzierten, in starker Sprache erzählten Krimi einfach bis zur letzten Zeile gern.