Es ist wie immer beim Sturz von Führungskräften - man hätte es gerne noch ein bisschen dramatischer.
Also rankten sich am Freitag allerlei Gerüchte um den Verbleib von Stefan Aust, den eben entmachteten Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Spiegel.
Die einen wähnten ihn schon am Freitag in der Kanzlei des Hamburger Medienanwalts Matthias Prinz, um mit dessen Hilfe die weitere Strategie im Kampf um eine mögliche Abfindung festzulegen.
Andere wiederum erwarteten die Ankunft Austs in Hamburg für den Nachmittag und glaubten, der Chef nutze dafür sogar einen Privatjet. Tatsächlich aber saß Stefan Aust, 61, auch Freitag wie in den Tagen zuvor in Indonesien und macht Urlaub auf der Badeinsel Ambon.
Den Linienflug für die Heimreise will er schon vor Wochen gebucht haben - er fliege planmäßig am Sonntag. "Es ist ein bisschen warm hier, aber ich bin sehr guter Laune", sagte er, und wenn die Flüge gingen wie vorgesehen, sei er Montagnachmittag, spätestens am Dienstagmorgen wieder im Büro. "Was denn sonst?"
Was denn sonst? Man kann sich alles Mögliche vorstellen, aber dass Aust ohne Weiteres für längere Zeit in den elften Stock des Spiegel-Hochhauses an der Brandstwiete zurückkehrt eher nicht.
Ende einer Ära
Am Donnerstag hatten sich dort die Ereignisse überschlagen, denn, so die offizielle Mitteilung, "die Gesellschafter des Spiegel-Verlags haben einvernehmlich auf Initiative der Mitarbeiter KG beschlossen, den Vertrag von Stefan Aust, Chefredakteur des Spiegel, nicht über den 31. Dezember 2008 hinaus weiterlaufen zu lassen. Über eine Nachfolge wird zu gegebener Zeit informiert." Ende einer Ära.
Aust hatte von der Revolte über eine umständliche Telefonkette erfahren. Zunächst hatte ihn sein Stellvertreter Joachim Preuß angerufen und ihm mitgeteilt, er habe gehört, man suche in Washington nach einem Nachfolger für ihn.
Tatsächlich hatte nur eine Ungeschicklichkeit des derzeit in Washington für den German Marshall Fund der USA arbeitenden Aust-Nachfolge-Kandidaten Thomas Kleine-Brockhoff den Stein ins Rollen gebracht. Dieser hatte sich nach einer vertraulichen Anfrage des Verlags-Geschäftsführers Mario Frank vertrauensvoll an den ihm gut bekannten Spiegel-Auslandschef Gerhard Spörl gewandt ("Soll ich das machen?").
Später meldeten sich noch Armin Mahler, Geschäftsführer der Mitarbeiter KG, und das Sekretariat las ihm die knappe Mitteilung aus dem Intranet vor. Auf einen Anruf aus der Verlagsleitung wartet Aust noch - guter Stil sieht anders aus.
Die Mitarbeiter KG hält 50,5 Prozent der Anteile des Spiegel-Verlags, 25,5 Prozent gehören dem Verlag Gruner+Jahr, der Rest den Erben des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein, dessen vier Kindern, von denen Jakob und Franziska Journalisten sind.
Erster Machteinsatz der Mitarbeiter-KG
Zum ersten Mal nach dem Tod Augsteins im Jahr 2002 setzt die Mitarbeiter KG ihre Macht voll ein - und gerät nun selbst unter Druck. Am Freitag tagte wie immer morgens um zehn die Chefredaktion, in diesem Fall Austs Stellvertreter Martin Doerry und Preuß, mit den Ressortleitern in Austs Büro.
Dort wurde auch der erkältete Mahler vernommen. Der heisere KG-Geschäftsführer und Leiter des Wirtschaftsressorts bekam ein Glas Wasser und jede Menge Fragen serviert. Warum jetzt, warum auf diese Art, warum nicht weiter mit Aust? Der amtierende Chefredakteur sei nicht der richtige Mann, wiederholte Mahler, dem Spiegel jenen Modernisierungsschub zu geben, den das Blatt brauche, um junge Leute zu binden.
Darauf regte sich Widerstand: Gerade erst sei auf Austs Geheiß die Idee eines regelmäßigen Leitartikels und einer Glosse entwickelt worden. Er habe gute Arbeit geleistet. Und überhaupt wollten die Ressortleiter in Zukunft gefragt werden, wenn es um die Köpfe der Chefredaktion geht.
Aust selbst amüsiert der Vorwurf, er sei nicht innovativ. "Dass ich etwas gegen Neuerungen hätte, würde ich eher für lachhaft halten", sagte er. "Wir haben so viel gemacht und so viel verändert - schauen Sie sich doch einmal an, was der Spiegel heute ist und was er früher war."
Früher kann Aust übrigens ganz genau datieren: 13 Jahre und vier Tage, da kam er durch Rudolf Augstein zu seinem Job, der kein leichter ist. "Darüber machen Sie sich jeden Tag Gedanken", sagt Aust, "über den Titel, der am Montag noch aktuell sein muss, über eine ordentliche Qualität im Heft und über den Verkauf. Den Spiegel zu machen, bedeutet eine schwere Last." Wenn man ihm die nehmen wolle, "soll ich mich da beklagen"?
Keine Angst vorm Boulevard
Tatsächlich gibt es nur wenige Jobs im Mediengeschäft, die derart unter Beobachtung stehen wie der des Spiegel-Chefredakteurs. Als wären Journalisten Fußballer und der Magazin-Chef der Bundestrainer, wissen alle alles besser.
Der Spiegel gilt in der Branche vielleicht nicht mehr als Leitmedium - Franziska Augstein hat dem zunehmend boulevardesker gewordenen Blatt diese Rolle unlängst abgesprochen -, aber er ist immer noch das Zentrum der printmedialen Aufmerksamkeit. Gute finanzielle Bedingungen, investigativer Auftrag, große Umfänge, Langzeit-Recherchen, gute Gehälter, Mitarbeiter-Beteiligung - darüber, was man aus dem Spiegel nicht alles machen könnte, denken viele Journalisten gerne nach.
Aust, gelernter Fernsehmann und als solcher eher visuell veranlagt, hat das Blatt in seiner Zeit als Chefredakteur zum Publikumsheft umgebaut. Mit knackigen Titeln und reißerischen Aufmachern hatte er keine Probleme. So überholte das Heft den Stern, hielt dem Angriff des Focus stand und stabilisierte die Auflage auf hohem Niveau.
Nebenbei baute er Spiegel TV, von ihm gegründet, zu einer Marke aus. Im Streit über die Zukunft von Spiegel TV mit Verlagschef Frank verlor Aust im Sommer den Posten als Geschäftsführer der Spiegel TV GmbH. Schon das hielten viele für den Anfang vom Ende.
Die Vielseitigkeit des im eigenen TV-Magazin auch einem breiten Fernsehpublikum präsenten Mannes galt zuletzt aber eher als Problem. Hausintern hieß es, Aust kümmere sich zu wenig um den gedruckten Spiegel und zu viel um eigene TV-Produktionen wie zuletzt etwa den in der ARD gezeigten Zweiteiler "Die RAF".
Den Spiegel überlasse der Chefredakteur weitgehend jenen Führungskräften, die er selbst installiert hat - das sind inzwischen fast alle Ressortleiter. Sein Führungsstil gilt dabei als umstritten. Willfährige Redakteure würden gefördert, unbequeme kaltgestellt. Der Spiegel, sagt einer der Aust-Gegner, sei wie ein alter Baum, dessen Stamm von innen morsch sei: "Man sieht es nur nicht, weil noch Blätter dran sind."
Auch in der Medienstadt Hamburg hat man sich über die Rolle des Spiegel, wie Aust ihn sah, gelegentlich gewundert. So hat der Pferdenarr nie bestritten, einen positiven Artikel über Windkraft nicht gedruckt, stattdessen aber eine Windrad-Tirade ins Blatt genommen zu haben - Aust gilt als scharfer Gegner von Windrädern in der Umgebung seiner Koppeln.
Ähnlich konsequent verfuhr er mit der Erweiterung des Airbus-Geländes: Als Nachbar des Flugzeugbauers vom Lärm betroffen, warnte er zunächst via Spiegel TV vor einem "Desaster, auf das Hamburg zusteuert". Airbus-Gegner feiern den Beitrag von 2002 dankbar als "brillante Sendung". Die SPD dagegen vermutet, Aust habe im Bürgerschaftswahlkampf 2004 späte Rache für den Airbus-Ausbau geübt.
Regelmäßig erschienen im Spiegel Verrisse des damaligen SPD-Bürgermeister-Kandidaten Thomas Mirow ("Unternehmensberater mit unterentwickeltem Charisma", "Die große Leere") - der zuvor als Senator für Stadtentwicklung die Erweiterung des Airbus-Werks gefördert hatte. "Die Springer-Presse macht uns keine Sorgen", sagte damals Mirows Wahlkampf-Manager, "unser Problem sind der Spiegel und Aust."
Ob Aust selbst für den Spiegel eher Problem oder Segen war, wird die nahe Zukunft zeigen. Zum 60. Geburtstag des Chefs hatte die Redaktion einen Film drehen lassen, in dem sein Stellvertreter Joachim Preuß das Schlusswort spricht: Was Stefan Aust für den Spiegel geleistet habe, sagte er da, werde man erst erkennen, wenn er mal nicht mehr da sei.