Streiflicht (3):Das passable Kleid des Glossenschreibers

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Ironie im postironischen Zeitalter - geht das überhaupt noch? Ja, es geht, man darf es aber nicht so machen wie Boris Palmer

Von Hilmar Klute

Die Ironie gehört inzwischen zu den Kulturtechniken mit einem stetig sich verschlechternden Leumund. Das hat damit zu tun, dass sich in letzter Zeit einige auffällige Menschen auf die Ironie berufen haben. Boris Palmer wollte seinen auch über die Twitter-Branche hinaus bekannt gewordenen Tweet über den schwarzen Fußballer Dennis Aogo als ironische Wendung verstanden haben, um irgendetwas zu entlarven, von dem er am Ende selbst nicht mehr so genau wusste, was es war. Hans-Georg Maaßen, der eine Brille trägt, die wie die ironische Variante einer Brille aussieht, hat einen ironischen Tweet über die vielen Vornamen der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock rausgeschickt. In beiden Fällen wurde erst nach massiven Erregungsfeuerwerken in den sozialen Medien bekannt gegeben, dass hier wie dort mit den Mitteln der Ironie gearbeitet wurde. Die Ironie ist eine Art Desinfektionsmittel, das man hinterher auf die unappetitliche Stelle sprüht, in der Hoffnung, der Zweifel, ob das alles ernst gemeint war oder nicht, würde den Wundbrand der Empörung nach und nach löschen. Natürlich tragen weder Palmers nächtlicher Ferngruß noch Maaßens epiphanischer Einfall auch nur Spurenelemente von Ironie.

Die Ironie ist nämlich selbst ein Spurenelement. Wenn man sie sachgerecht anwendet, merkt man kaum, dass sie im Spiel ist. Trotzdem oder deshalb wird sie in den seltensten Fällen verstanden. Das hat damit zu tun, dass das ironische Reden dem ernst gemeinten Reden so nah verwandt ist, dass man beide oft für Zwillinge hält.

Im Streiflicht ist Ironie deshalb bereits seit vielen Jahren aus Sicherheitsgründen verboten. Jeder Autor und jede Autorin wird nachgeschult, wenn sie nachweislich ein ironisches Streiflicht abgeliefert hat. Da die Autoren anonym sind, ist es oft mühsam, sie zu belangen, aber der Autor, der vor einigen Jahren ein schwer ironisches Streiflicht anlässlich der Ankündigung von Günter Grass, aus Altersgründen keine dicken Romane mehr zu schreiben, verfasst hatte, wurde angewiesen, die Danziger Trilogie so lange zu lesen, bis er sie singen konnte. Als Martin Walser seine sorgsam gebundenen Tagebücher in einem ICE der Deutschen Bahn hatte liegen lassen, reagierte das Streiflicht mit einer ironischen Tagebuch-Reminiszenz, auf welche wiederum Walser selbst in einem Spiegel-Interview dergestalt reagierte, dass er den Spott des Streiflicht-Schreibers als gefühl- und ahnungslos zurückwies.

Die Alice Weidel der deutschen Kleinkunst

Natürlich kann man jetzt schwitzend den Feldherrenhügel erklimmen und rufen: Ihr versteht eben alle nichts von der feinen Kunst des uneigentlichen Sprechens, deshalb regt ihr euch alle so über unsere ironischen Kunstfiguren auf. Andererseits muss man ja heute, da fast überall ironisiert wird, als gebe es keinen Ernst mehr, der Ironie eher den Laufpass geben als sie wie eine raffinierte Göttin der geschminkten Wahrheit zu bekränzen. Jeder unselige Kabarettist beruft sich auf die Ironie, wenn er seine Unappetitlichkeiten in die Welt flötet wie die Österreicherin Lisa Eckhart, die man, wenn man ironisch sein möchte, die Alice Weidel der deutschsprachigen Kleinkunst nennen könnte. Wenn man aber vernünftig sein möchte, nennt man sie am besten gar nicht. Eines der jüngsten Meisterwerke der Ironie sollte das groß angelegte Filmmanifest "Allesdichtmachen" werden, bei dem deutsche Schauspieler die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus (hat jemand eigentlich das Patent auf diese lässige Wendung?) ironisch bejahten.

Die uneigentliche, also ironische Affirmation war hier natürlich der Sprengstoff, der die Masken der Mimen zerfetzte, und im Sturm der Entrüstung blieb am Ende nur noch Jan Josef Liefers standhaft, der im "Tatort" den blasiert ironischen Pathologen Karl-Friedrich Boerne spielt. Wir sehen schon: Im täglichen Leben ist die Anwendung von Ironie kein glücklicher Handgriff. Das kann man übrigens sehr anschaulich beim anderen, dem wirklich lustigen Börne nachlesen. In seiner heiteren Vernichtung des deutschen Beförderungswesens ("Monographie der deutschen Postschnecke") schilderte der Journalist Ludwig Börne 1821 seine Begegnung mit einem Hutmacher in einer der damals üblichen Postkutschen-Höllenmaschinen. Börne fragte den Mann, ob er ein Mittel wisse, wie man seinen Hut unbeschädigt durch das elende Gerüttel und Gerumpel der Kusche bringen könne. Worauf dieser antwortete: Man solle abwechselnd den rechten und den linken Fuß in den Hut stellen, so werfe dieser keine Beulen.

Was war das nun? Ironie? Ein ernsthafter Rat?

Es war doch ironisch gemeint!

Das weiß kein Mensch, auch Börne wusste es nicht und schrieb den klugen Satz: "In Stuttgart zerbrach ich den ironischen Mantel." Das ist natürlich ein robuster Schritt, aber es ist ja auch wahr: Wenn ein Leser im Streiflicht eine Unbotmäßigkeit entdeckt und diese in einer Mail zum Ausdruck bringt, nutzt es wenig, den einen oder anderen Fuß in den Hut zu stellen. Die Beule wird bleiben, denn das einzige Argument, das dem Autor zu seiner Verteidigung bleibt, wäre: Es war ironisch gemeint. Aber das muss man erst einmal beweisen.

Das Streiflicht ist ja das San Marino unter den journalistischen Adressen dieses Landes. Jeder, der schreibt, möchte mal dort gewesen sein und jeder, egal, ob er schreibt oder nicht, weiß, dass es dort vor allem deshalb so schön ist, weil es ein kulturell zwar bedeutendes, politisch dagegen ein nicht allzu gewichtiges Land ist. Doch auch in San Marino gelten ja bestimmte Regeln und wenn man von San Marino aus spaßeshalber sagt, der Rest der Welt sei eigentlich kulturell und politisch ein Witz gegen das, was San Marino zu bieten hat, dann muss man diese Spielart der Ironie schon sehr gekonnt anwenden, um nicht den Zorn vieler Menschen auf sich zu ziehen.

In der Ironie liegen, um es einmal im Achtsamkeitston der Reformhausmenschen zu sagen, Risiko und Chance zugleich. Sie kann, indem sie das Gegenteil dessen ausdrückt, was sie bedeuten soll, einen schönen Erkenntnisgewinn erzielen. Erinnert sei an den großen Kabarettisten (ja, so etwas gab es tatsächlich einmal) Werner Finck, der während der NS-Zeit mit List und Ironie seine "Katakombe" führte. Mal hat die Gestapo sein Theater geschlossen, dann durfte er wieder auftreten. Dieses Mischverhältnis beschrieb Finck mit einem meisterhaften Satz: "Gestern hatten wir zu, heute haben wir offen. Wenn wir heute zu offen sind, haben wir morgen wieder zu." Auf diese Art von Ironie standen damals keine Shitstorms oder wütende Zuschriften, sondern das Konzentrationslager, wo Finck dann auch hinkam, wo er aber zum Glück nicht endete.

Wie auch immer: Der ironische Mantel, den Ludwig Börne nach seiner Postkutschenfahrt in Stuttgart so mannhaft zerbrach, muss natürlich nicht eingemottet werden. Man muss ihn nur immer wieder mal mit neuem Futter versehen und die Taschenbeschläge modernisieren. Denn Ironie ist immer noch ein passables Kleid für einen Glossenschreiber, speziell für einen Autor, für eine Autorin des Streiflichts. Der etwas robustere Bruder der Ironie, der Humor, ist in seiner unverstellten, direkten und unkomplizierten Art übrigens auch immer ein gern gesehener und in seiner Wirkmacht nicht zu unterschätzender Influencer im Streiflicht.

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