Stadtkunstschau in Chemnitz:In den Eingeweiden der Stadt

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Die Kunstschau "Gegenwart/Presences" in Chemnitz zeigt mehr als Peng!-Werke: lila Unterführungen und Marx' Gedärme.

Von Ulrike Nimz

Es schwimmt ein Auto im Chemnitzer Schlossteich, ein dunkelgrauer Škoda. Nur Frontscheibe und Motorhaube ragen aus dem Wasser. Von weitem sieht das aus wie ein rastendes Nilpferd; und man fragt sich unbehaglich, ob am Steuer noch der Unglücksfahrer sitzt, durchnässt bis zur Hüfte, mit starrem Blick auf die monströsen Schwanentretboote, die am Ufer parken.

Ist das Kunst oder ein Unfall oder beides, fragten sich wohl auch die Chemnitzer, und riefen vorsichtshalber die Feuerwehr. Passanten hatten verdächtige Schlieren rund um den Wagen entdeckt, vermuteten Öl, doch ein eilends eingetunkter Teststreifen blieb unauffällig.

"Versinken" heißt das stille Werk des Schweizer Aktionskünstlers Roman Signer, der sonst dafür bekannt ist, dass er gern Dinge in die Luft jagt. Als Abgesang auf die autogerechte Stadt will er das Arrangement verstanden wissen, als Kommentar zur Klimakrise. Natürlich sei die Karosserie komplett entkernt und versiegelt, stellt Signer klar, von der Umweltbehörde abgenommen. Zunächst habe er ein x-beliebiges Vehikel versenken wollen, aber das tschechische Škoda könne man auch mit "schade" übersetzen, und das sei dann doch zu hübsch gewesen.

Das Auto im Teich ist Teil der am Wochenende eröffneten Stadtkunstschau "Gegenwarten / Presences". 20 Künstlerinnen und Kollektive aus Deutschland und der Welt zeigen in der Chemnitzer Innenstadt Installationen, Skulpturen, Performances. Schade daran ist nur, dass zuletzt der Eindruck entstehen konnte, die Ausstellung kenne nur ein Thema, nämlich die neueste Aktion des Medienkollektivs Peng!

Ende Oktober entscheidet sich, ob Chemnitz europäische Kulturhauptstadt wird

Unter dem Titel "Antifa - Mythos und Wahrheit" haben die Aktivisten Insignien linken Engagements zusammengekauft, von der Straße auf die Sockel der Chemnitzer Kunstsammlungen geholt. Ein Nachbau des Einkaufswagens, der in der Silvesternacht Teil eines umstrittenen Polizeieinsatzes im Leipziger Stadtteil Connewitz war. Oder eine Spraydose der 75-jährigen Menschenrechtlerin Irmela Mensah-Schramm, die bundesweit rechtsradikale Parolen übertüncht, dafür nicht nur Applaus bekommt, sondern auch Anzeigen. Zwei Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen im Chemnitzer Zentrum kratzt die Aktion am dünnen Schorf einer heilenden Stadt, provoziert, unterhält und nervt verlässlich, schon 24 Stunden vor Eröffnung. Da nämlich verkündete Peng! das Aus der Ausstellung. Die Museumsleitung habe das Kollektiv angewiesen, Parteienkritik aus einem Wandtext zu entfernen, was man als Angriff auf die Kunstfreiheit werte. Die Stadt vermittelte, das Canceln wurde gecancelt. Als Kompromiss distanzieren die Kunstsammlungen sich nun mit einer Plakette von der eigenen Ausstellung. Die Kontroverse lehrt viel über die Sinnhaftigkeit eines Neutralitätsgebots für staatliche Einrichtungen und die Tütensuppenhaftigkeit von Twitter: Bitte kurz aufkochen für faden Beigeschmack.

Dabei ist der Anspruch von "Gegenwarten" ein größerer. Dem manchmal grauen Selbstverständnis des "sächsischen Manchester" wollen die Kuratoren Florian Matzner und Sarah Sigmund mehr verpassen als einen Anstrich oder den nächsten Skandal. "Wir möchten Chemnitz für die Bürger neu erlebbar machen, an Orten, die vielleicht in Vergessenheit geraten sind. Das ist eine Entdeckung der Stadt", sagt Matzner. Seit 30 Jahren gestaltet er Kunst im öffentlichen Raum, lehrt an der Akademie der Bildenden Künste in München. Chemnitz sei wie kaum eine andere Stadt durch Brüche und Verwerfungen geformt, sagt Matzner. Die Ausstellung trägt diesen vielen Wirklichkeiten Rechnung.

1945 durch alliierte Bomber zerstört, ist das Herz der Stadt heute geprägt von gähnenden Magistralen, Parkhäusern und Einkaufsmalls. Oder anders: viel Platz für Kunst. Die 30 Meter breite Brückenstraße, wo im August 2018 Neonazis auf Polizisten und Journalisten losgingen, endet in einer Sackgasse, dem so genannten "Stumpf". An diesem Tag brüllt hier nur die Hitze. Ein hölzernes Stadttor mit drei Portalen wirft Schatten auf den heißen Asphalt. Auf Betonfüßen ruhend, verbindet der "Wandelgang" das Zentrum mit dem Stadtfluss, der hier im Verborgenen plätschert. Das niederländische Kollektiv Observatorium hat die Installation in Zusammenarbeit mit der Chemnitzer Lyrikerin Barbara Köhler konzipiert. Um der Straße einen würdigen Abschluss zu verleihen und Passanten eine Frage stellen. "Was beginnt am Ende, was hört am Anfang auf?", steht da in gewaltigen Lettern. Und am Anfang gab es wieder Beschwerden. Anwohner kritisierten achtlos abgestellte Mülltonnen und Warnbarken, das sei doch keine würdige Umgebung für ein Kunstwerk.

"Diskussionen sind bei einem Projekt dieser Größe normal, sogar erwünscht", sagt Frédéric Bußmann, Generaldirektor der Chemnitzer Kunstsammlungen. 2018 hat er die Leitung des Museums von Ingrid Mössinger übernommen, die der Stadt mit Namen wie Warhol, Munch und Dylan einen internationalen Ruf verschaffte, bevor Hitlergrüße und Hintern ihn zerstörten.

Die Künstlerin konnte kaum wissen, dass Violett die Farbe des Konkurrenzfußballclubs ist

Ende Oktober entscheidet sich, ob Chemnitz europäische Kulturhauptstadt wird. Die Ausstellung sei eine wichtige Etappe auf dem Weg dorthin, sagt Bußmann. "Wir können und wollen Großes stemmen." Im Chemnitzer Hauptbahnhof hält zwar noch immer kein ICE, aber über die LED-Fassade flimmern nun Texte von Bertolt Brecht, Hannah Arendt und Paula Irmschler. Mit ihrem Chemnitz-Roman "Superbusen" hat die Autorin dem Typus des trinkfesten und haltlosen Citygirls ein literarisches Denkmal gesetzt, aber auch der Stadt und ihren gewalttätigen Gegenwarten. "Plötzlich schauen alle her und wissen Bescheid", schreibt sie zum verheerenden Sommer 2018. "Chemnitz steht nackt vor der Klasse, und es ist kein Traum."

Vom Bahnhof führt ein Fußgängertunnel zum Sonnenberg, ein einst heruntergekommenes Viertel, das heute Heimstatt von Kreativen ist. "Bazillenröhre" nennen die Chemnitzer den Gang unter den Gleisen, 220 Meter lang, drinnen der Gestank von Ammoniak und Angst. Bis Patricia Kaersenhout den Unort streichen ließ, in flirrendem Violett, 560 Liter Farbe. Die niederländische Künstlerin schuf einen Raum, in dem Schritte langsamer werden, nicht schneller. Sie konnte kaum wissen, dass Violett für viele Chemnitzer zuallererst die Farbe des Konkurrenzfußballklubs Erzgebirge Aue ist. Die Provokation ist gelungen.

Auf einer Wiese unweit der Oper ruht der Darm von Karl Marx. Ein wulstiges Gebilde aus Glasfaserkunststoff, 3 Wochen Fräsarbeit, Maßstab 24:1. Wie der monumentale Bronzekopf, der es zum Wahrzeichen brachte, ohne dass Marx je zu Besuch war, im ehemaligen Karl-Marx-Stadt. Relikte der sozialistischen Vergangenheit in der kapitalistischen Gegenwart - das ist das Thema der tschechischen Künstlerinnen Anetta Mona Chișa und Lucia Tkáčová. Warum, fragen sie, wird immer der Kopf von Menschen dargestellt, wenn doch auch andere Organe Einfluss auf Stimmung, Ideen, Glücklichsein haben? "Der Darm" ist ihr ironischer Kommentar zur oft patriarchalen Heldenverehrung im öffentlichen Raum. Und so stehen die Chemnitzer staunend vor den Eingeweiden ihrer Stadt, in denen es so rumort hat zuletzt. Geht es nach den Künstlerinnen, wird es hier künftig entspannt zugehen. "Die Leute sollen sich hinsetzen, hinlegen und sonnen."

© SZ vom 17.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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