Stadtarchitektur in Potsdam:Die Welt im Kleinen

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Die preußischen Herrscher bauten sich in der Stadt an der Havel ihr ganz persönliches Italien. Der gestalterische Ehrgeiz hat eine lange Tradition, auch von Holland, Frankreich oder Russland ließen sich die Preußen inspirieren.

Von Johanna Pfund

Eine Palme macht schon ein bisschen Italien. Und viele Palmen lassen auch eine weit nördlich der Alpen gelegene Stadt wie Potsdam südländisch wirken. Seit Ende März stehen die den Winter über sorgsam gehüteten Kübelpflanzen wieder draußen vor dem Orangerieschloss im Park Sanssouci und verleihen dem Ensemble das Flair, das die preußischen Könige vor Augen hatten, als sie im Laufe der Jahrhunderte in der brandenburgischen Stadt Schlösser, Palazzi, Landhausvillen, Kirchen, Glockentürme oder Tore bauen ließen. Viele Gebäude haben die Jahrhunderte und manche sogar den Zweiten Weltkrieg überstanden, den Gestaltungswillen des DDR-Regimes überlebten sie dann oft nicht immer. Seit einigen Jahren widmet sich Potsdam verstärkt wieder dem Ziel, das einst auch die preußischen Herrscher verfolgten: dem Schaffen einer klassisch schönen Stadt.

Im 17. Jahrhundert bestand Potsdam nur aus 100 Häusern

Der Umbruch zeigt sich seit einigen Monaten - wieder einmal - direkt im Stadtzentrum. Der Betonblock der alten Fachhochschule aus DDR-Zeiten ist abgerissen worden, für einige wenige Monate fällt nun der Blick frei auf die Nikolaikirche. Auf den gewonnenen Flächen entsteht ein komplett neues Quartier. Alleine im sogenannten Block III sind 14 Häuser mit 20 000 Quadratmeter Nutzfläche geplant, für Wohnen, Handel, Gastronomie und Gewerbe. Die Fassaden sollen die Baustile verschiedener Epochen widerspiegeln, von der Barockansicht bis zur schnörkellosen Ansicht aus den Sechziger- oder Siebzigerjahren ist alles möglich.

Mit der Verschönerungsstrategie hat man schon vor einigen Jahren begonnen. Das Stadtschloss, das im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört worden war, wurde bis 2014 rekonstruiert und beherbergt jetzt den Landtag. Mit der Renovierung der Nikolaikirche oder dem Wiederaufbau des Palais Barberini als privates Kunstmuseum, das im Januar 2017 eröffnet wurde, hat der Rekonstruktionsprozess des historischen Potsdam weitere große Fortschritte gemacht. Das gefällt nicht allen Potsdamern. Die Befürchtung war, dass allein gut situierte Bürger das Gesicht der Stadt bestimmen würden. Eines haben die Potsdamer daher durchgesetzt: Der hoch aufragende Klotz des Mercure-Hotels, das 1969 als sozialistisches Prunkstück gebaut wurde und an dessen legendäre Bar im 17. Stock gerne erinnert wird, wurde bislang vor dem Abriss bewahrt.

Weitgreifende städtebauliche Ambitionen besitzen aber durchaus Tradition in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Vielleicht auch deshalb, weil die Stadt im Gegensatz zu vielen anderen Städten Deutschlands erst relativ spät gewachsen ist. Nach dem Wüten des Dreißigjährigen Krieges bestand auf dem teils sumpfigen Gelände nur noch eine winzige Siedlung. 100 Häuser und etwa 1000 Einwohner zählte der Ort damals, wie Historiker Ulrich Schmelz in seinem Buch "Von Handwerk, Kunst und Lebensart" schreibt. Angesichts der Entvölkerung dieses Landstrichs versuchten die Herrscher, Menschen nach Brandenburg zu locken. Den Hugenotten, die in Frankreich nach 1685 wieder verfolgt wurden, bot der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm allerlei Privilegien und Sicherheit. Ähnliches plante er mit den Niederländern: In Holland hatte der Kurfürst einen Teil seiner frühen Jahre verbracht, es war Heimat seiner ersten Gattin Luise Henriette von Oranien. Und das inspirierte ihn zu mehreren Bauprojekten.

Angeregt von den Niederlanden legte er schon 1660 den Grundstein für mehrere Bauten. Der Stadtgraben wurde nach holländischem Vorbild zum Stadtkanal. Sein Enkel, König Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, griff das Konzept wieder auf, und so entstand unter Leitung des holländischen Baumeisters Johann - ursprünglich Jan - Boumann das Holländische Viertel mit den roten Backsteinhäusern, das unter Friedrich II. vollendet wurde. Der Plan, das neue Viertel mit echten Holländern zu besiedeln, ging aber nur bedingt auf - nur in 22 der 134 Häuser wohnten schließlich Zuzügler aus den Niederlanden.

Auch den Webern bauten die Preußen eine eigene Kolonie im Osten des Ortes: Nowawes. Friedrich der Große legte sie für die evangelischen Böhmen an, die wegen ihrer Religion in der Heimat verfolgt wurden und denen das heutige Babelsberg nun Zuflucht bieten sollte. So zumindest wird es berichtet, doch letztlich wohnten auch viele Deutsche in der Kolonie.

Für zwölf russische Sänger baute der König die Kolonie Alexandrowsk

Auch die Russen sollten sich wohlfühlen. Und so baute ihnen Friedrich Wilhelm III. eine Heimat, samt russisch-orthodoxer Kapelle und mit Schnitzereien verzierten Holzblockhäusern. Denn während der Napoleonischen Kriege waren aus 500 russischen Gefangenen 62 Sänger ausgewählt worden, wie Schmelz schreibt. 1826 lebten noch zwölf davon in Potsdam. Die nach dem 1825 gestorbenen Zaren Alexander I. benannte Siedlung Alexandrowska südlich des Kapellenbergs ist erhalten.

So entstand in der Stadt an der Havel dank der Ambitionen der preußischen Herrscher und willkommener Zuwanderer auf vergleichsweise kleinem Raum eine große architektonische Vielfalt. Und sie reicht hinaus über die Unesco-Kulturlandschaft mit dem Park Sanssouci als Zentrum. Kein Wunder, dass zu den Partnerstädten Potsdams Orte wie Versailles und Perugia zählen.

© SZ vom 05.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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