Spurensuche:Zur Sache, bitte

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Polemiken und Gerüchte sind Stimmungsmache. Albrecht Dürer wusste schon im Jahr 1506, wie man sich dagegen wehrt: mit der Kraft des ernsthaften Arguments.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Um Argumente zu ringen, war schon Albrecht Dürer wichtig.

Behauptungen schwirren durch den öffentlichen Raum. Es hieß kürzlich, ein Flüchtling sei vor einer deutschen Behörde gestorben und eine Jugendliche sei von Zuwanderern vergewaltigt worden - schnell werden Gerüchte für wahr gehalten, auch wenn sie nicht stimmen. Aus dem Kreislauf der Rechthaberei, des Glaubens ohne zu wissen, helfen nur nachprüfbare Fakten und Argumente. Alles andere ist Stimmungsmache.

Polemiken und lancierte Falschmeldungen gab es immer schon, auch in der Renaissance. Aber es gab auch immer schon Leute, die dagegen auf eine sachliche Diskussion drangen. Um 1500 etablierte sich an den italienischen Höfen und in den Palazzi eine Dialogkultur, ein Spiel aus Rede und Widerrede zu allen Themen von Belang: zur Liebe und zur Religion, zur Politik und zur guten Lebensführung.

Anerkennung fand hier, wer nicht einfach irgendetwas daher redete, sondern seine Ansichten zu begründen wusste. Albrecht Dürer muss diese offene Atmos-phäre der Debatte aufgesogen haben, als er im frühen 16. Jahrhundert Venedig besuchte. Er malte dort den erst zwölfjährigen Christus, der mit seiner Klugheit die Schriftgelehrten im Tempel überrascht. Die alten, nicht gerade hübschen Männer bewundern den zarten Gottessohn nicht einfach, sie streiten mit ihm. Halten ihm Buchstellen vor, raunen ihm etwas ins Ohr, schauen misstrauisch. Der blond gelockte Knabe aber lässt sich nicht bedrängen. Er scheint in sich hineinzuhorchen, bleibt bei sich selbst und seinem Anliegen. Dann zählt er an seinen Fingerkuppen die Argumente ab. An seiner sachlichen Logik prallen die aggressiven Fingerzeige eines sich besonders ereifernden Herrn rechts neben ihm einfach ab.

Ein Gelehrter auf der Linken schließlich klappt sein Buch zu und hört dem Jungen aufmerksam zu. Das Argument hat sich durchgesetzt. Jesus erwartet nicht, dass man ihm blind glaubt, er will kein charismatischer Anführer sein, sondern seine Mitmenschen mit Worten überzeugen. Dies gelingt ihm vielleicht deshalb, weil er, der Heranwachsende, keine doppelte Agenda verfolgt. Dürer malt ihn als unschuldigen, aber entschiedenen Knaben, dem es wirklich um die Sache geht. Er ist gewinnend, weil ihm gar nicht in den Sinn kommt, andere Interessen zu verfolgen als jene, die er offen äußert und begründet.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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