Spurensuche:Spion im Nebenzimmer

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Die Problematik von Wohnraum und Eigentum wurde schon in Lubitschs Film"Ninotschka" behandelt.

Von Fritz Göttler

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen. Wir suchen nach wiederkehrenden Motiven. Die Problematik von Wohnraum und Eigentum wird in Lubitschs Film "Ninotschka" bereits behandelt.

Diesmal spielen die Türen eine nicht ganz so große Rolle wie sonst in den Hollywoodkomödien von Ernst Lubitsch - einen "director of doors" hatte Mary Pickford ihn genannt, als die beiden den Film "Rosita" drehten. Weil er das filmische suspensevolle Potenzial von Türen, die aufgehen und sich schließen, Blicke freigeben und wieder blockieren, so viel stärker fand als das erotische Potenzial seiner Stars. In Lubitschs Film "Ninotschka" gibt es also ein paar Türen weniger, und das verdankt sich dem Faktum, dass der Film zum Teil in Moskau spielt, wo Ende der Dreißiger Wohnraum extrem knapp war und Wohnungen deshalb nochmals durch Vorhänge untergeteilt werden mussten. Die Kommissarin Ninotschka (Greta Garbo) hat es relativ gut, sie wohnt mit nur zwei anderen Frauen zusammen, eine spielt Cello in der Oper, die andere ist eine Trambahnschaffnerin. Eines Abends kriegt Ninotschka Besuch von drei alten Freunden, mit denen sie Wonne und Weite der kapitalistischen Welt (= Paris) erlebt hatte - eine Hotelsuite, ein verrückter Hut, Negligés, und, der größte Luxus, eine wahre Liebe.

Für die Liebe ist die Politik nicht zuständig, wohl aber für den Wohnraum, der Liebe generieren und fördern könnte. In diesem Sinne hat Robert Habeck, der Vorsitzende der Grünen, sich Enteignungen zur Lösung des Wohnraumdilemmas durchaus vorstellen können - und damit reflexhafte Reaktionen anderer Politiker provoziert. Natürlich soll Eigentum eigentlich verpflichten, das finden alle, "Enteignungen" aber, hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sofort moniert, "sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun." Lubitschs (und seiner Drehbuchautoren Charles Brackett, Billy Wilder, Walter Reisch) "Ninotschka" ist natürlich weit subtiler als Söders kurzschlüssiges Genörgel. Der Film kann ziemlich böse sein, wenn's um sozialistische Stereotype geht, aber nicht minder boshaft bei kapitalistischen Exzessen. Und Sozialismus ist hier doch auch: Solidarität. Die Enge des Wohnraums erzeugt Wärme. Frostig wird's nur durch die in jedem gesellschaftlichen System unvermeidlichen Spitzel - und hier kommen die Türen wieder ins Spiel. Wenn der Mann, der das Nebenzimmer bewohnt, die Tür öffnet und durch Ninotschkas Zimmer schleicht, und man nicht weiß, wenn er durch die andere Tür verschwindet, ob er aufs Klo geht oder zur Staatssicherheit.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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