Spurensuche:Reine Willkür

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Studie einer Ehe in den frühen Sechzigerjahren: In dem Film "One Potato, Two Potato" nimmt ein Richter einer jungen Mutter das Kind weg, nachdem sie einen Schwarzen geheiratet hat. Eine grausame Entscheidung des Richters.

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen. Wir suchen in Literatur, Film, Kunst und Musik nach wiederkehrenden Motiven. Wenn Kinder von ihren Eltern getrennt werden, empfinden wir das als grausam.

Menschen sind verschieden, aber es gibt ein paar Dinge, auf die sich fast alle einigen können; viele davon haben mit Kindern zu tun. Man trennt sie nicht von ihren Eltern, die überwältigende Mehrheit der Menschen reagiert darauf mit einheitlicher Emotion: Man empfindet es als grausam.

Als in den sechziger Jahren das Kino begann, sich mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu beschäftigen, war der Regisseur Larry Peerce einer der ersten, der von der Liebe zwischen Schwarz und Weiß erzählte. Kein großes Studio wollte sein Projekt haben, aber er konnte den Film trotzdem drehen, mit Schauspielern, die damals keiner kannte, drei Jahre vor Stanley Kramers "Rat mal, wer zum Essen kommt" mit Sidney Poitier, Katharine Hepburn und Spencer Tracy. Peerces "One Potato, Two Potato / Ruf nicht zu laut" landete 1964 trotzdem im Wettbewerb des Filmfestivals in Cannes, wo Hauptdarstellerin Barbara Barrie den Darstellerpreis bekam.

Sie spielt Julie, eine junge Frau, die sich von ihrem Mann scheiden lässt, er hat sie ohnehin verlassen, sie steht mit ihrer kleinen Tochter Ellen alleine da, seit diese ein Baby war. Bei der Arbeit lernt sie Frank (Bernie Hamilton) kennen, und bald sind die beiden ineinander verliebt, so sehr, dass sie heiraten, obwohl sie ja wissen, dass sie es schwer haben werden. Denn Julie ist weiß, Bernie ist schwarz. Einige Jahre später, inzwischen haben die beiden Franks Eltern, die gegen die Ehe waren, erweichen können und sie haben ein zweites Kind bekommen, steht plötzlich der Ex-Ehemann vor der Tür, der sich seit Jahren nicht hat blicken lassen - und beschließt, vor Gericht zu ziehen, um den beiden Tochter Ellen wegzunehmen. Und obwohl der Richter verstanden hat, dass das Kind keine anderen Vater kennt als Frank, entscheidet er, dass Joe Ellen mitnehmen darf. "One Potato, Two Potato" singen die Kinder auf dem Spielplatz zu Beginn des Films. Ein Abzählreim - das willkürlichste aller Auswahlverfahren.

Das Urteil fällt, die kleine Ellen wird abgeholt. Der Moment, in dem sie begreift, dass sie nicht zu einem kleinen Ausflug unterwegs ist, ist herzzerreißend. Einige amerikanische Kritiker haderten damals mit dieser Szene. Mitgelitten haben sie durchaus - so sehr, dass sie fanden, die Grausamkeit gegen das Kind würde ablenken von dem Unrecht, das Frank widerfährt.

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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