Spurensuche:Reich mir das Wasser

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Diego Velázquez' "Wasserverkäufer". (Foto: Apsley House, The Wellington Museum London, English Heritage Photo Library 2004.)

Der spanische Maler Diego Velázquez fordert um 1622 mehr Respekt für Straßenhändler - und trifft damit einen Nerv nicht nur seiner Zeit.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Diego Velázquez fragt, was Arm und Reich zusammenhält.

Vor wenigen Tagen hat eine soziologische Studie bestätigt, was Experten seit Jahren sagen: Der untere Mittelstand in Deutschland ist gefährdet, und wer erst einmal arm ist, hat weniger Chancen als früher, sich hochzuarbeiten. Der wirtschaftliche Aufschwung kommt bei Menschen nicht an, die nur mit Not über die Runden kommen. Wie aber verkraftet eine Gesellschaft solch ungleiche Verhältnisse?

Die Frage stellte sich auch im Spanien des 17. Jahrhunderts, als Arm und Reich immer weiter auseinanderdrifteten. Um das Jahr 1622 spazierte der junge Diego Velázquez durch das heiße Sevilla und betrachtete die Wasserverkäufer auf der Straße. Ihm kam die Idee, einen dieser schlecht gekleideten Männer zu malen, in ernster Profilansicht wie einen Herren. Der Händler reicht einem durstigen jungen Adeligen ein Glas. Der begegnet ihm auf dem Bild mit Ehrfurcht - als ahne er, wie viel mehr Lebenserfahrung der Dienstleister mitbringt. Ein großer bauchiger Krug betont die Standfestigkeit des Alten, ein kleiner mit Dellenmuster die geistige Beweglichkeit des Jungen.

Auftraggeber des realistisch gepinselten, doch beinahe biblisch anmutenden Stückes war der Kaplan von König Philipp IV. Er führte den Maler bei Hofe ein. Vielleicht war es dieses Bild, das dort als Erstes überzeugte: Der König und seine Berater begannen gerade, unter den Eliten ein Bescheidenheitsideal zu propagieren, um das von sozialen Spannungen zerrissene Königreich zu einen. Respekt vor der Arbeit der kleinen Leute und keinen provozierenden Prunk im Auftreten bitte, lautete die Devise. Die Malerei als Leitmedium sollte die Botschaft im ganzen Land verbreiten und Vertrauen in die Führung schaffen. Doch alle Symbol- und Imagepolitik nützt nichts, wenn gleichzeitig Bürokratie und Vorteilsnahme wuchern und viel zu wenig für den sozialen Ausgleich getan wird. Eine Weile ging das noch gut, dann endete das Land im Staatsbankrott und nicht nur das Volk, auch sein Herrscher mussten darben.

Dafür aber kann man Velázquez nicht haftbar machen. Ohne Hintergedanken lehrt er über seine Zeit hinaus Respekt vor kleinen Leuten.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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