Spurensuche:Postfaktische Cowboys

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Der Film "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" erzählt die Geschichte von einer Lüge, die den Wahlsieg sichert - ein postfaktischer Western .

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Postfaktisch ging es schon im klassischen Western zu.

Postfaktisch ist das Wort der Stunde. Wenn schon auf nichts mehr Verlass ist, brauchen sich amerikanische Präsidentschaftskandidaten, Rechtspopulisten aller Nationen und Brexit-Befürworter nicht mehr mit solchen Kinkerlitzchen belasten wie überprüfbaren Fakten. Kommt man wirklich nicht weit in der Politik, wenn man immer nur die Wahrheit sagt? Besonders wahrheitsfreundlich war das Wahlgewerbe wohl noch nie, dreiste Lügerei war früher allerdings auch nicht salonfähig.

John Fords "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" von 1962 erzählt eine solche Geschichte, von einer Lüge, die den Wahlsieg sichert. Senator Ransom Stoddard (James Stewart) kommt nach Shinbone zur Beerdigung eines alten Freundes Tom Doniphon (John Wayne), und dort erzählt er dem Journalisten Scott, wie seine Politkarriere begann. Stoddard war Anwalt in Shinbone, einem Ort in der Mitte von West-Nirgendwo, die Leute dort sind nicht sehr gebildet und nicht sehr wehrhaft, denn sie lassen sich herumschubsen vom lokalen Bösewicht Liberty Valance, den Lee Marvin mit einem wunderbar fiesen Grinsen porträtiert. Doniphon zieht die Strippen und baut Stoddard zu dem Gegner auf, den Valance nie hatte - zumindest fast. Stoddard erschießt den Revolverhelden Valance im Duell, geht in die Politik, wird vom Volk gefeiert als Mann, der Liberty Valance erschoss - nur er selbst will hinschmeißen, weil er schließlich einen Mann umgebracht hat. Nur war er es gar nicht - Doniphon hat Liberty Valance erschossen.

Mit der Story rückt Stoddard nun heraus, was zu dem berühmtesten Zitat dieses Films, wenn nicht des gesamten Westerngenres führt. Während Scott herunterrattert, was Stoddard alles geleistet hat für Amerika, ihn sich als Vizepräsidenten ausmalt, reißt er die Notizen in Stücke und wirft sie in den Ofen. Er wird diese Geschichte nicht bringen: "When the legend becomes fact, print the legend." Die Legende hat sich verselbständigt und aus Stoddard einen Staatsmann gemacht - was allerdings nicht dasselbe ist, als wenn einer nur so zum Vergnügen lügt. Und überhaupt war die Welt im Universum von John Ford noch in Ordnung, man musste nur ihre kleinen Fehler beheben: Die ganze Legende wird ja nur gebraucht, weil Stoddard, ein echter James-Stewart-Held, zwar das Zeug hat, das Land zu führen - aber für populistische Anwandlungen viel zu ehrenhaft ist.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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