Spurensuche:Im Rausch

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Was für ein Gewand! Es tut, was die Trägerin nicht wagt: Adele Bloch Bauers Kleid erobert auf einem Gemälde Gustav Klimts lustvoll exzessiv den Raum.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Auf das Verhältnis von Exzess und Kontrolle versteht sich Klimt

Der Exzess ist oftmals eine Frage der Kontrolle. Beim Münchner Oktoberfest darf man trinken, singen, grölen, schunkeln und auf den Bänken tanzen. Das alles aber hat seine genaue Ordnung. Quer durchs Zelt rennen geht nicht, die Gruppen werden an die Tische gelenkt, an denen sie sich verausgaben sollen. Die Orgie ist eine Sache der Organisation; der grenzenlose Rausch bleibt eine Fantasie.

Das bemerkte im Laufe seines Lebens auch der 1862 geborene Gustav Klimt. Als junger Maler brachte er die österreichische Gesellschaft gegen sich auf mit dem gemalten Triebleben, das der Zeitgenosse Sigmund Freuds an die Wände der Wiener Institutionen und Salons warf. Exzessiv sollte die Kunst sein, abgründig, schamlos und schmerzhaft, was man mit dem Kulturwissenschaftler Carl E. Schorske als Teil eines lustvollen Vatermords einer ganzen Generation begreifen kann.

Später avancierte Klimt zum Maler des aufgeschlossenen, zumeist jüdischen Wiener Bürgertums, und suchte nun in den Gesichtern reicher Frauen nach den Spuren unterdrückten Begehrens. Die etwas distanziert blickende Adele Bloch-Bauer etwa scheint ihre Leidenschaften auf den ersten Blick zu beherrschen. Wenn auch mit Mühe. Auf Klimts Porträt verknotet die Tochter eines Bankdirektors die Hände vor der Brust, als fürchte sie, ihr Herz könne doch noch ausbrechen aus dem goldenen Käfig ihrer wohl sortierten Verhältnisse. Doch ihr Kleid ist ausufernder als jedes Dirndl, es quillt über vor Zacken, Dreiecken, lippenförmiger Erregung. In einem Goldrausch erobert dieses Gewand den Raum; seine runden Wallungen übertrumpfen den Drang der hochgewachsenen Adele, sich der Konvention gemäß zu zügeln.

Adele Bloch-Bauer meidet den Exzess, weil sie sich in ihm verlieren würde, bändigt ihre Kraft, weil sie ahnt, wie stark schon ihre Hände sind - stark genug jedenfalls, die ornamentalen Wogen eines aufgewühlten Innenlebens gerade noch zu bändigen. Das suggeriert Gustav Klimt, und es schwingt ein bisschen Melancholie mit in seinem Bildnis von 1907. Dabei profitiert er, der Künstler, am meisten von der Dialektik von Exzess und Kontrolle, denn in der Malerei ist im Zweifel beides möglich.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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