Spurensuche:Gescheiterte Scheidung

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Manchmal finden Paare wieder zusammen, obwohl sie sich doch sicher waren, dass alles vorbei ist - wie Kathryn Grayon und Howard Keel in Cole Porters Musical "Kiss Me Kate".

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Koalitionsverhandlungen sind der Widerspenstigen Zähmung.

Langfristig kommt man nicht ohne Regierung aus, aber vielleicht ist es ja das Problem, dass Koalitionen wie Ehen auf Zeit sind. Die SPD beispielsweise hat am Abend der Bundestagswahl die Scheidung eingereicht, weil aber bei den neuen Flirts der Kanzlerin sowieso nicht so richtig die Funken sprühten und es immer recht verlockend ist, alles zu lassen, wie es ist, ist das letzte Wort zu einer Neuauflage der großen Koalition wohl noch nicht gesprochen; das wäre es ja nicht einmal bei Neuwahlen. Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU und der SPD haben durchaus ihren Reiz, man muss sie sich nur mit Cole-Porter-Songs untermalt vorstellen und dem traulichen Widerwillen eines Paares, das schon mal weiter war. So wie in George Sydneys "Kiss Me Kate" (1953).

Da treffen sich zwei, die sich eigentlich nicht mehr leiden können, auch zu so einer Art Koalitionsverhandlung: Die Schauspielerin Lilli (Kathryn Grayson) und ihr Ex-Mann Fred (Howard Keel). Er will Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" auf der Bühne inszenieren, mit sich selbst als Petrucchio - und der widerspenstigen Lilli als Katherine. Lilli ziert sich wie Martin Schulz, aber sie wird ausgetrickst, und dann spielt sie doch mit und darf wieder den Weisungen eines Ehemannes lauschen, dem sie eigentlich nie wieder gehorchen wollte. Man kann sich gut vorstellen, wie Angela Merkel klagend trällert, als wäre sie Howard Keel, dass sie nicht mehr machen darf, was sie will: "Where Is The Life That Late I Led?" Ach, überhaupt sind in Cole Porters Liedern für das Musical ganz wunderbare Zeilen zu hören, die auch einen Koalitionsvertrag auflockern könnten - unvergesslich ist da beispielsweise: "Lisa, you gave a new meaning to the leaning tower of Pisa." Was genau die Bedeutung des schiefen Turms von Pisa sein könnte, vor oder nach Lisa? Egal!

Unter feministischen Gesichtspunkten ist "Kiss Me Kate" allerdings, bei aller Liebe, schlecht gealtert: Das große Finale besteht darin, dass Lilli den großen Unterwerfungsmonolog aus "Der Widerspenstigen Zähmung" als Porter-Stück singt. "I am ashamed the women are so simple / To offer war where they should kneel for peace / Or seek for rule, supremacy, and sway / When they are bound to serve, love and obey" - als Friedensangebot auf die Knie fallen, weil alle Machtansprüche dumm sind für ein zu Dienerschaft und Gehorsam geborenes Weib? Shakespeares Variante dieses ungeheuerlichen Sinneswandels kam schon dem Dramatiker George Bernard Shaw komisch vor, und das war im vorletzten Jahrhundert. Im Musical wie bei Shakespeare entflammt aus der Unterwerfung Liebe. Die mit Vorsicht zu genießen ist: Eine der gängigen Interpretationen spricht Katharina alle Ernsthaftigkeit ab - die Unterwerfung ist danach nur ironische Geste, weil sie nicht mehr weiß, wie sie sich noch wehren sollte.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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