Spurensuche:Eissturm

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Die Welt verändert sich kontinuierlich - nicht aber die Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Kunstwerken und Filmen nach wiederkehrenden Motiven. Manchmal nimmt uns der Winter gefangen - wie in "Der Eissturm".

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Manchmal nimmt uns der Winter gefangen - wie in "Der Eissturm".

Seit der Erfindung der Zentralheizung und der Klimaanlage ist die Menschheit der Wetterlage nicht mehr hilflos ausgeliefert, aber wenn es ganz arg kommt, müssen wir uns dem Klima immer noch unterordnen. Das Tief Egon legt Deutschland in diesen Tagen mit Orkanstärke lahm und weist so manche Wochenendplanung in die eigenen vier Wände zurück. Wer dann anfängt, über den Sinn des Seins nachzudenken, dem stürmt es bald auch in der Seele.

So ähnlich ergeht es der Familie Hood in New Canaan, Connecticut, über das Thanksgiving-Wochenende des Jahres 1973 in Ang Lees Film "Der Eissturm (1997)". Elena Hood (Joan Allen) ahnt, dass ihr Mann Ben (Kevin Kline) eine Affäre hat. Er schleppt seine Frau zu einer Schlüsselparty, bei der sexuell revoltierende Vorstadtbewohner willkürlich ihre Partner tauschen: Alle Autoschlüssel kommen in eine Schüssel und werden dann von den Damen gefischt. Nicht ganz Elenas Ding, und bei Ben ist alles nur vorgeschoben, er will die Nacht mit einer bestimmten Nachbarin verbringen - seiner Affäre eben. Unterdessen macht sich Sohn Paul (Tobey Maguire) auf in die Stadt, wo er ein Mädchen treffen will aus seiner Prep-School. Seine Schwester Wendy (Christina Ricci) jongliert mit zwei Brüdern aus der Nachbarschaft, den Kindern von Papas Geliebter. Im Hintergrund entfaltet sich Watergate, auf den Bildschirmen sieht man den auch ohne jeden Wettereinfluss unter Druck geratenen Richard Nixon.

In dieser Nacht kommt der Eissturm, erst draußen, dann in den Gemütern. Pauls Angebetete hat soviel Bier und Pillen intus, dass sie in Tiefschlaf fällt und er sich aufmacht zum Nachtzug, der unterwegs nicht weiterfahren kann. Ben wurde von seiner Geliebten in die Eiswüste geschickt, weil er auch nicht aufregender ist als der Ehemann, dem er Hörner aufgesetzt hat. Elena lässt sich mit just diesem Ehemann ein, aber davon wird die ganze Situation noch demütigender, als sie ohnehin schon war. Draußen wird es immer kälter, und der Regen, den der Wind vor sich hertreibt, gefriert an den Zweigen zu Kristallen.

Der Eissturm aber hat selbst die Antwort auf alle Fragen; als er vorüber ist, ist die Welt ganz leise und ruhig und sieht wunderschön aus. Die Natur schert sich nicht um uns, wir sind nur ihre Gäste, und wenn wir Glück haben, lässt sie uns einen Augenblick zusehen, wie sie märchenhaft glitzert.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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