Spurensuche:Arbeitsmaschinen

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Der moderne Mensch soll immer schneller werden, immer besser funktionieren - und braucht doch einfach auch mal seine Ruhe. Das wusste Charlie Chaplin, aber die Welt hörte nicht auf ihn und sein Jahrhundertwerk "Moderne Zeiten".

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Den Traum von Entschleunigung hatte schon Charlie Chaplin.

Die Zeit schreitet mindestens seit dem Urknall mit derselben Geschwindigkeit voran, nur die Menschen sollen immer schneller werden. Fast jede Änderung von Arbeitsabläufen hat immer nur ein Ziel: mehr Speed! Alles soll immer schneller erfunden, gelöst, produziert oder verkauft werden. Der Stress verursacht Zivilisationskrankheiten, aber es gibt ja längst Turbo-Schmerztabletten. Die Nachrichten von morgen sollten am besten heute schon feststehen, jede E-Mail sofort beantwortet werden; und zeitgemäß wäre sowieso das Versandhaus, das Wünsche im Flaschengeist-Tempo erfüllt: Kaum gedacht, schon geliefert.

Ob es den Traum von Entschleunigung wohl auch schon vor der Industrialisierung gab? Mit der Fließbandarbeit war er dann jedenfalls da, und mit ihm die Angst davor, wie ein Galeerensklave gefangen zu sein in einem Arbeitsprozess. 1936 drehte Charlie Chaplin "Moderne Zeiten", er war Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion. Der namenlose Tramp mit dem Bärtchen hat hier einen Job: Er arbeitet in einer Fabrik, deren Direktor die Arbeit mit der Kamera überwacht und sich, wenn der Tramp beispielsweise im Waschraum herumtrödelt, über riesige Monitore zuschaltet, eine recht weitsichtige Idee, Orwells "1984" wurde erst ein Jahrzehnt später geschrieben. Über die Monitore kann der Direktor Befehle brüllen, beispielsweise: Sektion 5 muss schneller machen! Da arbeitet der Tramp, der bald so weit ist, dass er selbst dann nicht aufhört, mit einer zuckenden Bewegung Schraubenschlüssel zu drehen, wenn er gar nicht mehr am Fließband steht.

Die ganze Fabrik-Episode zu Beginn des Films ist auch Slapstick am Fließband. Eine pausensparende Füttermaschine poliert dem Tramp mit einem Maiskolben fast das Bärtchen weg, und schließlich landet er, großes Finale, im Inneren seiner Produktionseinheit, wird durch die Röhren geschoben und durch Zahnräder gedreht, und schraubt dabei weiter fleißig vor sich hin. Das sieht komischer aus, als es ist, wie er da von seinem Job verschluckt wird. Aber der Tramp ist auch irgendwie Sand im Getriebe, folgt seinem eigenen Rhythmus - und bringt so ständig alles durcheinander. So ähnlich wie sein Schöpfer Chaplin: Als er "Modern Times" drehte, war die Stummfilmzeit zu Ende. Der Tramp schweigt trotzdem. Da hat sich Chaplin nicht hetzen lassen.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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