Spurensuche:Alles mein

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Über kulturelle Aneignung kann man streiten. Doch der Männermantel, den Giorgiones 1506 gemalte "Laura" trägt, steht ihr einfach fantastisch.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Bei Giorgione trägt eine Frau Männermode.

Sich etwas anzueignen aus einem anderen Kulturkreis, sozialen Milieu oder einer anderen sexuellen Identität, ist in Verdacht geraten. In sozialen Medien wird gestritten, ob die Wäschefirma Victoria's Secret Federn verwenden darf, die an Indianer erinnern. Modische Zitate aus der Schwulenszene rufen Diskussionen hervor darüber, ob da eine Subkultur symbolisch enteignet wird. Und Künstlern wird vorgeworfen, aus dem Leid von Schwarzen oder Indigenen Gewinn zu ziehen.

Das ist ernst zu nehmen, schließlich geht es um so etwas wie Selbstausdruck, und wer will schon sein Innerstes von anderen verscherbelt sehen. Gleichzeitig aber gibt es keine Mode ohne Grenzüberschreitungen und keine Kunst ohne Inspirationen aus anderen Lebenswelten. Immer schon war das Zitat die schönste Überraschung, gerade dann, wenn es von unerwarteter Seite kam.

Eine als attraktiv geltende, gut situierte Frau trug im Venedig der Renaissance körperbetonte Unter- und Oberkleider in vielen Schichten übereinander. Sie blondierte sich vielleicht die Haare und steckte sich allerlei Füllmasse hinein. Das Dekolleté durfte tief ausgeschnitten sein, wurde aber von teuren Ketten gebändigt. Was sie sicher nicht trug, war ein pelzgefütterter Männermantel auf blanker Haut.

Genau das aber macht die Laura genannte Frauenfigur, die Giorgione 1506 auf eine kleine Holztafel malte. Sie ist dunkelhaarig und nicht blond, wie es das damalige Schönheitsideal vorsah - und das, obwohl auch Petrarcas verehrte Laura blond war, jene literarische Gestalt, auf die der Lorbeerstrauch, italienisch lauro, im Hintergrund des Bildes anspielt. Ein Schleier fällt ihr vom Hinterkopf über die bloße Brust, und nein, ein Brautschleier ist das wohl kaum. Und dann nimmt diese Frau im Männermantel auch noch die Verführung selbst in die Hand, öffnet und schließt ihr Gewand, wie es ihr gefällt. Der Männermantel macht sie nur umso anziehender.

Es wird Jahrhunderte dauern, bis Frauen Hosen im Alltag durchsetzen. Noch 1966 konnte der junge Yves Saint Laurent damit überraschen, dass seine weiblichen Models auf dem Laufsteg Smoking trugen. Heute gibt es Modedesigner, die in ihren Präsentationen Frauen- und Männermode mischen. Natürlich ist die weibliche Lust am Smoking oder Herrenmantel etwas anderes als die kulturelle Aneignung der Zeichen ausgebeuteter Völker. Doch das Spiel mit den Codes der anderen verträgt keine zu strengen Regeln, es ist deshalb so gut, weil es in alle Richtungen frei ist.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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