Spanien:Endlich eine Männerträne

Lesezeit: 3 min

Paul Ingendaay: Königspark. Roman. Piper Verlag, München 2019. 396 Seiten, 22 Euro. (Foto: Verlag)

Auf dem größten Strich: Paul Ingendaays Roman "Königspark".

Von Burkhard Müller

Casa de Campo ist der größte Park von Madrid, fünfmal so groß wie der Londoner Hyde Park, mit einem Zoo, einer Seilbahn, Spielplätzen, Gastronomie und dem größten Straßenstrich Europas. "Königspark" nennt ihn Paul Ingendaay, der viele Jahreals Korrespondent der FAZ in Spanien gearbeitet hat und die Verhältnisse kennt. Und so lautet auch der Titel seines Romans.

Die Frage ist, wie man aus solcher Kenntnis einen Roman erschafft. Eigentlich sind der Park und der Strich selbst die Hauptfigur. Um sie herum gruppiert Ingendaay das menschliche Personal. Die junge Nuria, die sich den Mixed Martial Arts verschrieben hat, zäh und durchtrainiert, erlebt es als ihre Berufung, die Prostituierten zu schützen, die an diesem exponierten Ort besonders wehrlos sind. Das geht aber nur, wenn sie sich mit dem vorhandenen System arrangiert; und so bewirbt sie sich bei Rico Vargas, einem der größten Unternehmer der Branche, als "Hüterin" - normalerweise ein Job für Männer, die Kontrolle über die Frauen ausüben, notfalls mit Gewalt. Sonderbar genug, dass sie den Job kriegt und dann nachts wie ein schwarzer Engel auf ihrem Sportrad durch den Park brettert, wobei sie keiner physischen Auseinandersetzung mit den Freiern oder der Polizei aus dem Weg geht.

Verflochten damit sind weitere Erzählstränge. Rico Vargas selbst hat als armer Prolet in einer andalusischen Kleinstadt angefangen und ein hartes, aber berechenbares Regime aufgebaut - so ungefähr das Fairste, was sich unter den Bedingungen der Zwangsprostitution verwirklichen lässt. Nurias ältere Schwester Isa ist schon früher von daheim abgehauen und bietet ihre Dienste als Begleitdame der höchsten Kategorie an, zu Tarifen bis 3000 Euro pro Nacht, während im Königspark die Preisliste bei 10 Euro losgeht. Obwohl die Schwestern je auf ihre Weise in einem engen Verhältnis zu Rico stehen, wissen sie zunächst nichts voneinander, so wenig wie ihr gottesfürchtiger Vater, dem sie entlaufen sind und der nach seiner Scheidung verbittert allein das Haus der Familie bewohnt. Und dann gibt es Mateo, den jungen, halbdeutschen Journalisten, der für das Boulevardblatt "Claro!" seine große Story sucht und glaubt, sie bei Nuria gefunden zu haben. Sein Chef Nacho, scheinbar ein Macho, findet Trost für sein ödes berufliches Dasein in den Armen der Transvestitin Danila, natürlich im Königspark; und eines Nachts erwischt der recherchierende Mateo ihn entgeistert auf frischer Tat .

Schon die Nacherzählung lässt erkennen, dass Ingendaay seinen verheißungsvollen Stoff ans Melodram verschenkt. Der Plot bewegt sich auf der Schiene der familiären Verstrickung und der unwahrscheinlichen Begegnungen. Die Figur der Isa, die immerhin ahnt, dass sie sich mit ihrer professionellen Arroganz das Lebensglück vermasselt, ist interessant angelegt; weniger klar sieht man, was Nuria eigentlich will und soll, auch wenn sie gegen Ende eine (ziemlich folgenlose) Revolte vom Zaun bricht. Das alte Spanien, mit seinen überforderten Patriarchen, stößt auf das neue libertäre, das auch nicht glücklicher wirkt. So bietet sich das Buch vor allem als langer Stoßseufzer dar: dass man es, wie man es macht, doch immer verkehrt macht. Das sentimental-moralisierende Element, wie es sich etwa in der lang zurückgehaltenen und dann doch endlich fließenden Männerträne ausdrückt, wird im Verlauf des Romans stärker; zum Schluss ist es kaum noch auszuhalten.

Ein besonderes Problem stellen die Dialoge dar. Die Figuren sprechen natürlich Spanisch; und die Frauen, die aus aller Herren Länder stammen, unterschiedliche Arten von schlechtem Spanisch. Ingendaay hingegen muss sie auf Deutsch reden lassen. Das klingt dann so: ",Und Fevo? Soll sie für immer da bleiben und zum Gott der Schmerzen beten?' - ,Du hast keine Ahnung, Mann!' - ,Wovon, coo! Siehst du nicht, dass du mit drinhängst, dass du dich schuldig machst? Wenn du dieses Leben weiterführst, dann bist du nichts anderes als eine katholische Heuchlerin!'" So reden Menschen weder auf Deutsch noch auf Spanisch miteinander, und auch die eingestreuten Unterpfänder des Authentischen tragen eher folkloristischen Charakter.

Um der Gerechtigkeit willen sollte man hinzufügen, dass Ingendaay, auch wenn sein Gesamtkonzept nicht trägt, einige gute Einzelszenen geschrieben hat. In der vielleicht besten interviewen Mateo und seine Kollegin eine populäre spanische Sängerin, die das Pech hatte, wegen Steuerhinterziehung im Knast zu sitzen, diese Schikane selbstredend überhaupt nicht begreift und lieber von ihrer Fangemeinde in Lateinamerika berichtet. Ein Fan schafft es zu ihr ins Backstage, erringt ihre Gunst, weil er, wie sie erst allmählich herausfindet, blind ist - oder war das am Ende nur ein Trick? Diese Episode ist wirklich toll erzählt.

© SZ vom 13.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: