Sommer:Glück im Schatten

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(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Nur wer noch kein völlig durchgegartes Gehirn hat, sucht in diesen Tagen nicht den Schatten. Die Schattenwelt ist zu Unrecht schlecht beleumundet. Und die Architektur sollte aufhören, immer weniger Schatten zu spenden.

Von Gerhard Matzig

Man hat in diesen siedenden Hitzegruseltagen eine kaum zu stillende Sehnsucht nach Schatten. Gut, das mag nicht für alle Menschen gelten. Es gibt auch welche, die sich erst ab einer Temperatur nahe der Kernschmelze wohlfühlen. Doch dafür ist die Psychopathologie zuständig. Wenn das Gehirn aber noch nicht vollständig durchgegart ist, sollte es einem signalisieren, dass die Sonne nicht nur ein großer Spaß (Freibad, Biergarten, Eisdiele, Picknick), sondern auch ein großes Problem ist (Klimawandel, Waldbrand, Ernteausfall, Flipflops).

Es wird daher Zeit, vom Mond zu lernen. Der hat sich am Beginn dieses Wochenendes für längere Zeit zur Erholung in den Schatten der Erde verkrochen. Das ist vernünftig, weshalb ihn manche Medien zum "Megamond" befördert haben. Jedenfalls: Man sollte es ihm gleichtun - und erst dann wieder aus dem Schatten ins Licht treten, wenn es hierzulande angenehme 21 Grad oder so was hat. In ein paar Wochen oder Monaten könnte es soweit sein.

Bis dahin ist daran zu erinnern, dass der Schatten zu Unrecht übel beleumdet ist. Man kennt die Schattenwirtschaft, das Schattenreich der Toten, das Zwielicht oder die dunkle Seite der Macht. Das Wort "hell" genügt sich fast selbst, der Begriff "dunkel" aber wuchert dahin: schummrig, zappenduster, sibyllinisch, dämonisch, suspekt, obskur - und undurchsichtig.

Dunkel ist das Mittelalter, die Moderne dagegen will hell sein. Wie der lichte Tag. Das rächt sich nun. Jetzt begreift man, dass die Kunst der Verschattung eine eher alte, ja vergessene Kunst ist. So sehr bemühen sich die neuen Häuser um gewaltige Panoramafenster und bodentief aufgeglaste Wände (gerne aus transluzentem Beton), um nur ja nicht düster und gestrig zu erscheinen. Und so glatt sind die Fassaden und Kuben geworden: Vor- und Rücksprünge werden da so wenig geduldet wie weit auskragende Dächer. Zugleich lässt so manch überambitionierte Platzgestaltung in den Städten kaum ein Bäumchen zu. So sieht man derzeit Menschen auf der verzweifelten Suche nach ein wenig Schatten. Im Klimawandel könnte sich die Architektur daran erinnern, dass sie nicht nur dem "Spiel mit dem Licht" dient (Le Corbusier), sondern auch dem Lob des Schattens.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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