"Cyr" von den "Smashing Pumpkins":Liebe, wenn sie scheußlich wird

Lesezeit: 2 min

Früher LSD-Freak, heute eher Vater: Billy Corgan und "The Smashing Pumpkins" bei einem Konzert in Nürnberg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Billy Corgan ist einer dieser besessen rastlosen Geister, die wirklich alles erfüllen können - außer Erwartungen. Sein neues Album ist darin, nun ja: besonders beeindruckend.

Von Jakob Biazza

Grausames Spiel, immer wieder dasselbe: Erwartungen schaffen. Erwartungen steigern. Erwartungen sanft enttäuschen. Erwartungen leicht korrigieren. Erwartungen erfüllen - ein bisschen natürlich nur, aber dafür sehr gezielt. Erwartungen vollständig zerfetzen. Der Welt erklären, dass sie sich ihre Erwartungen am besten dorthin steckt, wo es sehr dunkel ist, dies hier sei nun mal Kunst. Womöglich recht damit haben. Oder eben auch überhaupt nicht. Und in beiden Fällen: Weitermachen. Immer weitermachen. Ein bisschen wie in der Liebe, wenn sie scheußlich wird, aber noch lodert. Unberechenbarkeit kann die Liebenden binden. Manchmal macht sie sie auch glücklich.

The Smashing Pumpkins sind auch deshalb seit jeher die dysfunktionalste leidenschaftliche Daueraffäre unter den Alternative-Rock-Leidenschaften. Die ewige Diva. Stets zu gleichen Teilen Heilsversprechen und weltliches Normalmaß. Die Fans lieben sie, abgöttisch zum Teil. Aber die Angebetete war immer störrisch.

Gerade gibt es die Band fast wieder in dem, was gemeinhin als Originalbesetzung gilt - was auch immer das heißt, nachdem Frontmann Billy Corgan in der Manie von drei Jahrzehnten alles und jeden um sich herum ausgetauscht, zurückgeholt und neu zusammengesetzt hat. Hauptsache, weitermachen. Jetzt also ein neues Album, ein Doppelalbum, um genau zu sein. Ja, ja - genau: das erste seit "Mellon Collie". 20 Songs enthält "Cyr" (Rykodisc/Warner). Angeblich hatte man Hunderte zur Auswahl, viele sollen noch aus den Neunzigern stammen. Man kann den Fans nicht direkt vorwerfen, dass sie da - wider besseres Wissen - eine kleine Dosis vom alten, LSD-vergifteten Gitarrenzeug erwarten.

Vater oder LSD-Freak: Was davon ist bitte wahrhaftiger?

Deshalb ist "Cyr", Ehrensache: ein Synthie-Album. Wolkiges, glitzriges Gebläh, stoische, elektronisch bearbeitete Drums. Ein paar sehr schöne Melodien, das schon, und auch immer wieder mal eine Atmosphäre, die die Seele heraushebt aus dem ganzen Stumpfsinn der Isolation. Vor allem aber eine Produktion, für die man viel gebraucht hätte - aber eher keine Band mit einem der musikalischsten Schlagzeuger seiner Generation. Das Ganze hätte Corgan genauso schlecht allein hinbekommen. Was wiederum ein nutzloses Gedankenspiel ist, weil er allein ja versucht hätte, ein live eingespieltes Psychedelic-Opus zu produzieren (was er übrigens parallel angeblich wirklich tut), und das wäre entweder grandios geworden oder eben formidabel gescheitert. Auch das hängt davon ab, was man erwartet hätte.

Es leuchte ihm nicht ein, hat Corgan jüngst dem Magazin Kerrang! erzählt, wie Menschen sich stets auf eine bestimmte Identität festlegen wollten. "Ich bin inzwischen Vater, und vor 25 Jahren war ich ein Freak auf LSD! Was davon ist bitte wahrhaftiger? Nichts. Beides kann zur selben Zeit wahr und nicht wahr sein."

Damit könnte er recht haben oder auch überhaupt nicht und wenn er recht damit hat, dann ist "Cyr" vermutlich doch das große Kunstwerk eines besessen rastlosen Geistes, der wirklich alles erfüllen kann, außer eben Erwartungen. Im anderen Fall ist es ein eher gleichförmiges Album. Aber dafür lang.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: