Holmes-Memorabilia:Sherlock Holmes lebt in New York

Lesezeit: 5 min

Glen Miranker nennt sich selbst einen "sachte verrückten" Sammler. Er besitzt etwa 8000 Objekte, die mit der Figur des britischen Detektivs zu tun haben. Ein Besuch.

Von Christian Zaschke, New York

Cathy Miranker konnte nicht ahnen, was sie auslösen würde, als sie ihrem Mann Glen im Herbst des Jahres 1976 eine amerikanische Erstausgabe von Geschichten über den britischen Detektiv Sherlock Holmes schenkte. Schwer zu beschreiben, was es genau war, sagt Glen Miranker heute, aber irgendwie war ihm sofort klar, dass er nun eine Sammlung von Holmes-Memorabilia anlegen werde, und da er sich zu einem, wie er es selbst nennt, "sachte verrückten Sammler" entwickelte, besitzt er mittlerweile rund 8000 Objekte, die in irgendeiner Weise mit Holmes und dessen Erfinder Arthur Conan Doyle zu tun haben. Eine Kollektion, die auf der Welt ihresgleichen sucht.

Bekanntlich gehört es zu den größten Vergnügungen des irdischen Daseins, sich mit sachte verrückten Menschen über ihre Leidenschaften zu unterhalten. Man verabredet sich also mit dem 67 Jahre alten Miranker im New Yorker Grolier Club, gegründet 1884 und damit laut eigenen Angaben der älteste existierende Klub von Buchfreunden in Nordamerika. Eigentlich ist Miranker in San Francisco zu Hause, aber dieser Tage weilt er öfter in New York, weil der Grolier Club einige seiner Schätze ausstellt. "Sherlock Holmes in 221 Objects" heißt die Schau, und, na klar, Miranker hat diese Zahl gewählt, weil Sherlock Holmes in London an der Adresse 221b Baker Street wohnt.

Es zählt, dies muss auch kurz gesagt sein, ebenfalls zu den Vergnügungen des Daseins, dass es Orte wie den Grolier Club tatsächlich gibt. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von Leuten, denen es darum geht, Bücher zu lesen, zu preisen, zu zeigen und andere Menschen daran teilhaben zu lassen. Sämtliche Ausstellungen kosten keinen Eintritt. In normalen Zeiten konnte man jederzeit durch den Irrsinn der sich in Pompösität übertreffenden Luxusgeschäfte auf der Fifth Avenue schreiten, dann einmal rasch nach rechts in die 60th Street abbiegen und schauen, was sie im Klub gerade wieder in die Vitrinen gestellt hatten. Derzeit muss man sich wegen der Pandemie auf der Website für eine konkrete Uhrzeit anmelden, aber kostenlos ist der Besuch trotzdem.

Die erste Holmes-Geschichte wurde im Magazin "Beeton's Christmas Annual" veröffentlicht

Wie es sich für einen New Yorker Klub der selbstverständlich leicht neurotischen Bücherfreunde gehört, gehen die Mitglieder bisweilen auf "field trips", auf bibliophile Entdeckungsreisen. Eine dieser Ausfahrten führte sie vor einigen Jahren in die Welt des Glen Miranker, der seine Holmes-Sammlung in seinem Haus in San Francisco in einer Bibliothek aufbewahrt, in der Licht und Luftfeuchtigkeit allzeit unter Kontrolle sind. Ob man nicht vielleicht einen klitzekleinen Teil dieser Sammlung von der West- an die Ostküste bringen könne, fragten die Klubleute. Miranker sagte zu.

Arthur Conan Doyles Werk bezüglich Sherlock Holmes ist überschaubar. Er hat 56 Kurzgeschichten über den Detektiv geschrieben und vier Romane. Die erste Geschichte erschien 1887, die letzte 1927. Bevor er die Figur des Holmes erfand, hatte er einige andere Geschichten geschrieben, doch die Manuskripte kamen von den Verlagen so verlässlich mit ablehnendem Bescheid zurück wie Brieftauben, sagte er einmal. Seine erste Holmes-Geschichte hieß "A Study in Scarlet" (auf Deutsch: Späte Rache). Sie wurde in einem Magazin namens Beeton's Christmas Annual veröffentlicht, und ja, Miranker besitzt eine originale Ausgabe dieses Magazins, die nun in New York zu sehen ist. Er erzählt, dass Doyle damals sämtliche Rechte an der Geschichte an das Magazin abgetreten habe. Ein Fehler, den er nicht wiederholen sollte.

Doyle wurde in Schottland geboren, im wunderbaren Edinburgh, er hat dort studiert und unter anderem vom legendären Medizinprofessor Joseph Bell gelernt. Bell war bekannt dafür, dass er aus dem Auftreten und dem Aussehen seiner Patienten weitreichende Schlüsse darüber ziehen konnte, was diese getan hatten und woran sie litten. Die Anamnese begann mit einem Blick.

Der weithin unterschätzte schottische Autor Robert Louis Stevenson schrieb Doyle einmal einen Brief, in dem er ihn für die Figur des Holmes pries. Diese Geschichten zu lesen, schrieb er, mildere sogar seine Zahnschmerzen. Und, fragte er, könne es sich bei der Figur des Holmes vielleicht um eine Hommage an einen seiner alten Freunde aus Edinburgh handeln? Joseph Bell, den Professor? Genau so war es natürlich.

Große Teile der Universität von Edinburgh sehen heute noch exakt so aus wie zu der Zeit, als Stevenson und Doyle sie besuchten. Es ist hingegen ein Glück, dass die beiden großen Literaten nicht erlebten, wie die Uni im späteren 20. Jahrhundert eine Bibliothek auf den Campus knallte, die aussieht wie ein Parkhaus, in dem man nicht mal einen plattgefahrenen Fiat Panda abstellen will.

Die Ausstellung beginnt mit dem größten Hit, dem Hund von Baskerville

In New York hat Miranker die Ausstellung wie den Auftritt einer solide gealterten Rockband organisiert, die erst einmal ihren größten Hit spielt. Deshalb sieht man als Erstes seine Exponate zu "The Hound of the Baskervilles", welches das erfolgreichste Holmes-Buch ist. Er habe lange darüber nachgedacht, die Schau chronologisch aufzubauen, sagt er, aber dann habe er sich für den Einstieg mit dem Buch entschieden, das alle kennen.

Die Geschichte über den Hund von Baskerville erschien 1901, sieben Jahre nach dem vermeintlichen Tod von Holmes. Sie verkaufte sich blendend. Wenig später beschloss Doyle daher, den Detektiv für weitere Geschichten wieder zum Leben zu erwecken und auf neue Abenteuer zu schicken.

Das ist so weit bekannt. Miranker kann darüber hinaus wunderbare Geschichten erzählen. Zum Beispiel diese.

Im Jahr 1889 lud der amerikanische Verleger Joseph M. Stoddart zwei Autoren zum Dinner in London ein, Oscar Wilde und Arthur Conan Doyle. Während des Essens bot er beiden an, ihnen jeweils eine beträchtliche Summe Geld für einen Roman zu bezahlen. Einige Monate später erschien der Holmes-Roman "The Sign of Four" (Das Zeichen der Vier). Ein paar weitere Monate später erschien Wildes "The Picture of Dorian Gray" (Das Bildnis des Dorian Gray).

In der Ausstellung sind beide Ausgaben zu sehen, die aus diesem Abend hervorgingen, und das ist, wenn man Bücher und deren Geschichte mag, bewegend. Doyle nannte das Treffen später seinen "goldenen Abend", und über Oscar Wilde sagte er: "Er überragte uns alle, aber zugleich beherrschte er die Kunst, uns allen den Eindruck zu vermitteln, dass er sich für alles, was wir sagten, interessiere."

Schließlich zeigt Miranker sein Lieblingsstück, und der ganze, der sachte verrückte Mann bebt vor Glück, als er diese Geschichte erzählt.

Im 19. Jahrhundert hatten sich viele amerikanische Verlage nicht die Mühe gemacht, die Copyright-Rechte aus Europa einzuholen. Sie druckten die Bücher einfach nach und machten Geld. Das war seinerzeit vom US-Recht gedeckt. Arthur Conan Doyle, dem klar war, dass er eine große Fangemeinde in den USA hatte und wie viel Geld das für ihn hätte bedeuten können, sagte wieder und wieder, dass er diese Praxis verachte.

Als er im Jahr 1894 eine Lesereise durch die Vereinigten Staaten unternahm, wollten auch viele seiner reichen Fans ihn treffen. In Chicago veranstalte der Unternehmer H.N. Higinbottom ein Abendessen zu seinen Ehren. An dessen Ende bat er Doyle, ein Exemplar von "The Sign of Four" zu signieren. Es war eine Raubkopie. Vielleicht hat Doyle es nicht gleich gesehen, vielleicht war er höflich. Er unterschrieb.

Heute ist dieses Exemplar im Besitz von Glen Miranker, und er betrachtet es als das vielleicht spektakulärste seiner Sammlung.

"Sherlock Holmes in 221 Objects" , Grolier Club, 47 East 60th Street, Eintritt frei, Manhattan, New York. Bis 16. April 2022.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: