"Shadow" im Kino:Labyrinth der Schleier

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"Shadow": Das neue Kino-Epos vom chinesischen Regisseur Zhang Yimou führt uns in ein Haus mit wirbelnden Regenschirmen. Der Actionfilm wurde schon auf vielen Festivals gefeiert, zum Beispiel in Toronto und in Venedig.

Von Fritz Göttler

Gleich in der ersten Viertelstunde ist der Zopf ab. Der Befehlshaber Yu hat ihn sich selbst abgeschnitten, das unantastbare Zeichen seiner Würde, seiner männlichen Macht, seiner Potenz. Er will durch diese unerhörte Tat verhindern, dass seine Frau eine noch schlimmere Konsequenz zieht aus einem Schwur, den sie brechen musste, auf Geheiß des Kaisers.

Eine Geschichte aus der Zeit der drei chinesischen Reiche, im dritten Jahrhundert, also gibt es zu Beginn erst mal eine Menge Diplomatie, Allianzen, Invasionen, diverse Stellvertreterkämpfe und Strategien, nationale und individuelle Begehrlichkeiten. Es geht um die Stadt Jingzhou, sie gehört eigentlich zum Territorium des Königreichs Pei, ist aber vom Nachbarreich okkupiert, dessen General Yang hatte im Zweikampf Yu, den Befehlshaber von Pei, ordnungsgemäß besiegt und ein Bündnis mit dem Herrscher von Pei geschlossen. Nun aber hat Yu, heimlich, ein neues Duell mit dem General vereinbart, um die Stadt wieder zurückzugewinnen. Der König ist nicht amused über diese Aktion und tüftelt einen eigenen Plan aus, um den Frieden mit dem Nachbarn zu erhalten - er bietet seine wilde Schwester dem Sohn des feindlichen Generals zur Heirat an. Die naive, manchmal kindische Lässigkeit am Königshof ist einem vertraut aus den Dramen von Shakespeare. Die Hauptstadt von Pei liegt nicht machtbewusst in einer Ebene, sondern ist in ein Flusstal zwischen hohen Felsen gekauert. Das Wasser wird eine wichtige Rolle spielen in den kriegerischen Strategien, der Regen, der sieben Tage fallen wird.

Der König zwingt Yus Frau, auf der Zither für ihn zu spielen, dabei hatte die geschworen, sie würde das erst wieder tun, wenn die Stadt Jingzhou wieder beim Königreich Pei wäre, ansonsten würde sie sich die Finger abschneiden. Weshalb der Kaiser auch nicht sonderlich amused ist - sein Befehlshaber hat bei dem angezettelten Duell nur eine Gewinnchance von etwa dreißig Prozent, so schätzt er selbst seine Stärke ein. Also braucht er gegen den kraftvollen Zustoß des gegnerischen Generals eine neue Waffe, neue Taktik, neue Kampfkunst. Er soll weiblicher kämpfen, mehr Yin als Yang, trainiert statt mit dem Spieß mit einem zackig rotierenden Regenschirm - ein sarkastisch charmanter Kommentar zu "Me Too".

Der Schatten wurde erst mal weggesperrt, allein in existenzieller Dunkelheit

"Shadow" wurde auf den Filmfestivals in Venedig und Toronto 2018 von den Kritikern gefeiert als Wiederkehr des kraftvollen Epikers Zhang Yimou, wie man ihn von seinen Erfolgsfilmen "Hero", 2002, und "House of Flying Daggers", 2004, kennt - seinem fantastisch verspielten Film "The Great Wall" von 2016, mit Matt Damon, konnten sie nichts abgewinnen. Sein bislang letzter Film, "One Second" sollte im vorigen Jahr auf der Berlinale laufen, über einen Mann, der von einer Gefängnisfarm während der Kulturrevolution flieht, wurde aber zurückgezogen, angeblich wegen Schwierigkeiten bei der Postproduktion. "Shadow" ist ein Yin-Gegenstück zu den großen farbenreichen Freiluft-Epen mit ihren Dolchen und Pfeilen, die torpedogleich zwischen Bäumen hindurch und über weite Himmel schwirren. Hier trudeln Regenschirme durch die Straßen, durch Regen und Matsch, ein Effekt, der so verblüffend ist, wie man sich den wandelnden Wald von Birnam vorstellt, in Shakespeares "Macbeth".

"Shadow" ist lässiges Spiel der Throne, in dem das Labyrinthische transparent ist und das Transparente labyrinthisch wird, in dem die Farben gedämpft sind bis zum Schwarz-Weiß und die Formen sich immer wieder zum Yin-Yang-Symbol verwischen. Die Entschlossenheit, mit der Befehlshaber Yu anfangs auftritt, ist allerdings geborgt. Eine Fake-Potenz. Es handelt sich nämlich nicht um Yu, wie man gleich darauf erfährt, sondern um einen Doppelgänger, einen "Schatten" von ihm. Der wirkliche Yu kuriert noch die Verletzung aus, die er sich bei seinem fatalen Duell zugezogen hat. Den Doppelgänger - sie werden beide von Deng Chao gespielt - hat er schon vor Zeiten weggesperrt und existenziell auf seine Rolle vorbereitet. "Wisst ihr feinen Leute, was mir am meisten Angst macht?", klagt er: "Dunkelheit. Kein Mensch. Kein Licht. Kein Geräusch. Nur ich allein in Dunkelheit. Ich habe alles abgetastet, alles berührt, jeden Riss in der Wand erspürt. Um nicht verrückt zu werden. Um mir zu beweisen, dass ich noch lebe."

Am Ende weiß jeder, der die grausame Spirale des Kampfes um die Macht überlebt hat, dass es einen Schatten geben kann auch ohne einen Körper. Dazu gibt es einen subjektiven Blick aus der Rüstung eines schwarzen Kriegers heraus. Den Blick eines Toten.

Ying , China 2018 - Regie: Zhang Yimou. Buch: Li Wei, Zhang Yimou. Kamera: Zhao Xiaoding. Schnitt: Zhou Xiaolin. Musik: Lao Zei (Loudboy). Mit: Deng Chao, Sun Li, Zheng Kai, Wang Jingchun, Hu Jun, Guan Xiaotong, Lao Wu. Constantin, 116 Minuten.

© SZ vom 07.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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