Sexismus-Buch "Anonyma: Ganz oben":Herunterwürgen, brav bleiben

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Wenn Männer sich nicht herausgefordert fühlen, können Frauen leichter Karriere machen: Eine Topmanagerin erzählt anonym von ihren Erfahrungen in einem deutschen Unternehmen mit Milliardenumsatz. Das Buch ist eine Mischung aus Lamento und Ratgeber - und es wird skurril.

Von Kristina Maidt-Zinke

Die letzte "Anonyma"-Debatte liegt zehn Jahre zurück. Sie betraf das Nachkriegstagebuch "Eine Frau in Berlin" und die darin thematisierten Vergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Soldaten. Kurzzeitig gab es Zweifel an der Authentizität des Textes, die dann ausgeräumt wurden; jedenfalls hat die Signatur "Anonyma" seitdem einen Ruch von Brisanz und Skandal. Davon dürfte ein Buch profitieren, das in die aktuelle Frauenquoten- und Sexismus-Diskussion passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: Unter dem Titel "Ganz oben" berichtet eine "Anonyma", alias Frau A., von ihren Erfahrungen "Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft".

Die Autorin ist, so lesen wir, die einzige Frau unter den rund 50 Topmanagern eines deutschen Unternehmens "mit Milliardenumsatz", dessen Name natürlich ebenfalls geheim bleibt. Denn was hier ausgeplaudert wird, gereicht der Firma nicht zur Ehre. Frau A., die stets "ungläubiges Staunen" erntet, wenn sie Details aus ihrem Berufsleben im Freundeskreis verrät, hat Beispiele dafür gesammelt, "wie sehr das obere Management noch von männlichem Denken geprägt ist". Im Klartext: Wie sehr eine Frau, wenn sie es denn als einsame Ausnahme an die Spitze schafft, unter Vorurteilen, Repressionen, Anzüglichkeiten und schlechten Manieren seitens ihrer männlichen Kollegen zu leiden hat. Und Frau A. weiß: Würde sie sich als Denunziantin outen, wäre die Rache der Herren gnadenlos - sie müsste "negative Konsequenzen" für ihre Karriere befürchten.

Ein kurios doppelzüngiger Ton

Der Tatbestand allein wäre nicht allzu aufregend. Indes: Auch dieses Büchlein provoziert eine Echtheits-Debatte. Was wir da lesen, mögen wir kaum glauben. Nicht etwa, weil wir Mühe hätten, uns vorzustellen, dass es auf den männlich dominierten deutschen Führungsetagen so und nicht anders zugeht. Sondern weil es uns zweifelhaft vorkommt, dass eine Figur wie diese Anonyma als reale Person frei herumläuft.

Nach ihrer Selbstbeschreibung könnte man sie kaum identifizieren: Einsfünfundsiebzig, kräftige Statur, kurzgeschnittenes dunkles Haar, weder schön noch hässlich. Für den Aufstieg, betont sie, sei dieses Aussehen von unschätzbarem Vorteil. Denn erstens: "Durch meine Körpergröße begegne ich den männlichen Kollegen im ganz konkreten Sinne auf Augenhöhe, ohne sie zu überragen." Zweitens: "Frauen, deren Schönheit oder Weiblichkeit weder positiv noch negativ auffällt, bei denen sich Männer körperlich nicht herausgefordert fühlen, haben es viel leichter, Karriere zu machen." Praktikantinnen dürfen hübsch und sexy sein, gern klein und zierlich; auf dem Kompetenzsektor bevorzugt Mann mittelgroße graue Mäuse oder gar den "Typus Trampeltier", der in einer veritablen Hasstirade beschrieben wird.

Vorherrschend aber ist ein kurios doppelzüngiger Ton, eine Mischung aus Lamento und Ratgeber: Frau A. ärgert sich über die Reaktionsmuster, Ansprüche und Gepflogenheiten der sie umgebenden Macho-Clique und prangert sie an, ist aber andererseits unablässig bemüht, sich deren Erwartungen perfekt anzupassen und entsprechende Tipps und Verhaltensmaßregeln weiterzugeben.

Skurril wird es, wenn sie versucht, sich ihrer Position gemäß einzukleiden. Der "Kanzlerinnenstil" ist ihr "zu unaufregend", sie möchte "irgendetwas zwischen dunklem Hosenanzug und Folklore". Da sie in Kaufhäusern und Boutiquen nicht fündig wird, fliegt sie mehrmals die 500 Kilometer lange Strecke zu einem Schneideratelier, wo sie sich einen langweiligen, überteuerten Anzug aufschwatzen lässt und ein großflächig mit Tüll (!) dekoriertes Kleid in unvorteilhafter Farbe. Beides wird brav bezahlt und mitgenommen, aber nie getragen. Frau A. "bastelt" weiterhin erfolglos an ihrem Versuch herum, sich vom Einheits-Outfit weiblicher Führungskräfte abzuheben und trotzdem nicht anzuecken. Die in dieser Episode dokumentierte Hilflosigkeit ist fast rührend, aber dass eine Frau, die sich Alltagsdingen so albern anstellt, in der Wirtschaftselite mitmischt, mutet eher wie ein (von Männern?) böswillig erfundener Witz an.

Kaum minder unglaubwürdig wirkt das Kapitel, in dem unsere Anonyma sich von einem Tag auf den anderen, widerspruchslos und ohne Vorbereitung, für ein Jahr nach Brüssel versetzen lässt. Im Auslandsbüro der Firma wird sie aus internen Gründen isoliert und schikaniert, etwas zu tun gibt es für sie nicht. Sie aber begreift die Zumutungen "eher als Herausforderung", lernt brav ein wenig Französisch und ist dankbar, als einer der belgischen Kollegen am Ende etwas auftaut. Ja, so sind sie, die Frauen auf dem Weg nach "ganz oben": Machen alles mit und mucken nicht auf, um das mühsam Erreichte nicht zu gefährden.

Frau A. hat freilich auch Erfolgserlebnisse

Aber worin besteht das? Frau A. signalisiert uns, dass sie sehr viel Geld verdient, aber ihr Dasein scheint es nicht sonderlich zu bereichern. Das Privatleben gestaltet sich schwierig: Die Höhe des Gehalts schreckt potenzielle Partner ab; der spät gefundene Freund ist ein "nichteuropäischer Ausländer", den sie aus der beruflichen Sphäre fernhalten muss, weil es dort an Weltoffenheit und Toleranz mangelt. Geschäftsreisen sind nichts als triste Routine mit Einsamkeitsgefühlen und Fastfood im Hotelzimmer; die Pflichtgeselligkeit am Rande von Tagungen wiederum verlangt Smalltalk über Männerthemen, also Autos, Politik und Fußball, aber bitte nicht zu kenntnisreich, weil Männer das nicht mögen. Dazu fortwährende Demütigungen: Die einzige Frau im Führungsgremium wird gern als "Mädchen für alles" missbraucht, ob es nun um das Sitzungsprotokoll oder die Organisation der Bewirtung geht. Frau A. beklagt sich darüber, aber sie nimmt das Joch auf sich, will sie doch nicht "als anstrengende 'Emanze' gelten".

Frau A. hat freilich auch Erfolgserlebnisse. Zum Beispiel dann, wenn dank ihrer "Intuition" die festgefahrenen Verhandlungen mit einem schwierigen Geschäftspartner in der Hotelbar fortgesetzt werden: "Wir tranken ununterbrochen Bloody Mary's in einer Spezialausführung mit besonders hohem Alkoholanteil. Ab und zu fiel der Eiswürfelbottich um; dann wurden die glitschigen Eiswürfel mit der flachen Hand in irgendein Glas bugsiert, und man trank weiter." Später kommt es zu einem "für beide Seiten guten Abschluss". Stolz resümiert Frau A.: "Das Zusammengefegte vom Tresen herunterwürgen, ohne sich etwas anmerken zu lassen, das war gefragt und hat mit dazu beigetragen, meine Akzeptanz bei diesem Geschäftspartner dauerhaft zu erhöhen."

Der Profit der Firma ist der "Anonyma" heilig; in seinen Dienst stellt sie ihr im Umgang mit dem cholerischen Vater trainiertes Talent, bei aggressiven Verhandlungen auszugleichen und abzuwiegeln. Die krasseste Situation: Nachdem sie gerade auf der Toilette eine Fehlgeburt erlitten hat, bringt sie ein Gespräch zu einem Ergebnis, "das für unser Unternehmen nicht gerade herausragend, aber doch leidlich akzeptabel war". Bravo. Da man nie erfährt, was dieses "Unternehmen" produziert, fühlt man sich an die gespenstischen Telefonate voller Zahlen und Leerfloskeln erinnert, die man in der 1. Klasse des ICE oft unfreiwillig belauscht. Und man möchte der ebenso aufopferungsvollen wie selbstmitleidigen Frau A., falls sie existiert, gern den von Robert Gernhardt verschönerten Adorno-Satz ans Herz legen, der da lautet: "Es gibt kein richtiges Leben im valschen."

Anonyma : Ganz oben. Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft. Verlag C.H. Beck, München 2013. 160 Seiten, 14,95 Euro.

© SZ vom 02.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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