Schwedische Literatur:Einfallspinsel

Lesezeit: 4 min

Sven Nordqvist hat Kater Findus und den alten Pettersson erfunden, die es lässig mit großen Denkern aufnehmen können - jetzt wird der schwedische Autor und Zeichner 70.

Von Thomas Steinfeld

Die Mucklas sind kleine, etwa eine Handbreit hohe Wesen von beschränkter Intelligenz und unsicherer Gesinnung, aber großer Entschlusskraft. Sie besiedeln das kleine Universum, das der schwedische Zeichner und Autor Sven Nordqvist für seine beliebtesten Gestalteten eingerichtet hat: für einen alten Zausel, den Subsistenzbauern Pettersson, und für den jungen Kater Findus, ein sprachbegabtes, aber etwas vorlautes Findelkind in einer grünen Hose, das aufrecht auf seinen Hinterbeinen daherkommt. Es gibt Mucklas, die Schweinen mit langen Rüsseln ähneln, andere sehen wie grün gestreifte Rehe aus, wiederum andere gleichen Dinosauriern im Taschenformat. Sie leben in den verborgenen Kammern der schon ein wenig verfallenen Kate des alten Pettersson, wo sie eigene Hauswirtschaften unterhalten: eine kleine Welt innerhalb der kleinen Welt, in der Pettersson und Findus zu Hause sind. Darüber hinaus sind sie zuständig für das Verschwinden der vielen kleinen Dinge des täglichen Gebrauchs, die Pettersson eben noch glaubte besessen zu haben, die aber nun nicht mehr vorhanden sind. Zuweilen treiben sie Schabernack, zuweilen bilden sie einen Chor, der die wesentlichen Ereignisse einer Geschichte mit eher schrägen Einfällen begleitet, zuweilen sind sie ganz mit ihren eigenen, absurden Spielen beschäftigt.

Die Mucklas sind Erdgeister. Sie sind aber auch Gestalten der modernen Philosophie. Womöglich haben sie sogar das Werk Ludwig Wittgensteins, eines der berühmtesten Denker des 20. Jahrhunderts, gelesen und sich entschlossen, ihm nach Kräften zu widersprechen. In dessen erstem Hauptwerk, dem "Tractatus logico-philosophicus" (1921), heißt es nämlich: "Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit." Die Mucklas nun sind Wesen, die zugleich bestehen und nicht bestehen: Pettersson nimmt sie nämlich nicht wahr. Er kann sie vermutlich auch gar nicht wahrnehmen. Und wenn andere Menschen, der Bauer Gustavsson aus der Nachbarschaft zum Beispiel, auf den Hof kommen, erscheinen die Mucklas nicht einmal auf dem Bild. Für Findus aber gehören sie zum vertrauten Umgang, und sie selber kämen nie auf den Gedanken, es könnte sie vielleicht gar nicht geben.

Illustration aus "Eine Geburtstagstorte für die Katze", dem ersten Abenteuer von Petterson und Findus, 1984. Abb.: Verlag (Foto: N/A)

In Gestalt des Bauern Gustavsson erhebt die strenge Vernunft ihre Stimme

Die Mucklas mögen Gestalten sein, die der Erfindung zugehören, aber das tun Pettersson und Findus auch. In jedem Fall sind sie ein Einspruch gegen die Regel, mit der Ludwig Wittgenstein in die Welt der großen Philosophie wie der volkstümlichen Gemeinplätze einzog: "Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt." Tatsächlich lässt sich viel über Mucklas sagen (sie scheinen sich auch gegenseitig sehr viel zu erzählen zu haben) und damit über einen "Sachverhalt", den Ludwig Wittgenstein zu den "negativen Tatsachen" gezählt hätte, über die man hätte schweigen müssen.

Der britische Philosoph Bertrand Russell erzählt eine Anekdote über seinen Kollegen Ludwig Wittgenstein: Er habe ihn einmal vergeblich gebeten zu bestätigen, dass kein Nashorn im Zimmer sei. Man habe unter alle Tische geschaut. Ludwig Wittgenstein habe dennoch nicht zustimmen können. Es hätte ja sein können, dass sich das Nashorn stets im Rücken des Suchenden befunden habe. Die virtuelle Besiedlung eines Seminarraums mit Nashörnern ist die logische Konsequenz eines Empirismus, der nur gelten lassen will, was mit Händen zu greifen ist. Zwar fängt alles Denken mit der Frage an, was ist - und was etwas ist. Bei Ludwig Wittgenstein, einem Fanatiker der intellektuellen Reinheit, soll das Denken aber auch bei dieser Frage aufhören. Es denkt sich in der Folge überhaupt nichts.

Über den schwedischen Zeichner Sven Nordqvist

1 / 1
(Foto: N/A)

Sven Nordqvist, geboren am 30. April 1946 in Helsingborg, wollte schon als Kind Illustrator werden. Nachdem er an mehreren schwedischen Kunsthochschulen abgelehnt wurde, ergriff er zunächst den Beruf des Architekten und ließ sich nebenher über amerikanische Fernkurse zeichnerisch ausbilden. Bald arbeitete als Illustrator für Werbeagenturen und Verlage, als Karikaturist und Gestalter von Plakaten und Postkarten. Sein erstes Kinderbuch - "ABC - Antons Reise durch das Alphabet" - veröffentlichte er 1983. Der Bauer Pettersson und der Kater Findus - "Eine Geburtstagstorte für die Katze" - folgten im Jahr darauf. Die diesen beiden Helden gewidmeten Bücher wurden Sven Nordqvists größter Erfolg, vor allem in Deutschland. Daneben aber entstanden weitere Werke für Kinder ("Das Geheimnis der Weihnachtswichtel", 1986 und vor allem das zeichnerisch sehr anspruchsvolle Buch "Wo ist meine Schwester?", 2007), Illustrationen zu Texten anderer Autoren ("Mama Muh", "Denk selbst") sowie schließlich sogar eigene illustrierte Sachbücher ("Die lange Reise", 1999, "Die Leute von Birka", 2002). Darüber hinaus gibt es ein eher unbekanntes malerisches und bildhauerisches Œuvre. Zum 70. Geburtstag von Sven Nordkvist ist im Verlag Friedrich Oetinger der Band "Eine Bilderreise" erschienen, der in Gestalt einer autobiografischen Bilderzählung sein gesamtes Werk präsentiert. Thomas Steinfeld

Sven Nordqvist nimmt sich die Freiheit, einen Stellvertreter Ludwig Wittgensteins in die Geschichten von Pettersson und Findus hinein zu zeichnen: Bauer Gustavsson, die Stimme der streng sachlich argumentierenden Vernunft, einen Mann, der immerzu seiner eigenen Empirie zum Opfer fällt. Das gilt nicht nur, weil er nichts von Mucklas weiß, obwohl es sie doch gibt. Sondern es gilt auch, weil sich das Schwein, das er am Strick zum Markt führen will, am Ende als die stärkere Kraft erweist und den Bauern, im Schlamm liegend und darin strampelnd, nach Hause zieht.

Auch die Anekdote vom Nashorn scheint Sven Nordqvist zu kennen. Zwar vermeidet er in seinen Geschichten den Einsatz von Dickhäutern. Doch wenn Findus aus dem Fenster schaut, fliegen dort nicht nur Gänse, sondern auch Heringe vorbei. Und an der Wäscheleine hängen nicht nur nasse Strümpfe, die mit Wundpflastern geflickt sind, es baumelt dort auch eine Scheibe Knäckebrot. Man sieht diese Details nicht, wenn man nur der Geschichte folgt. Man muss gleichsam unter die Tische gucken. Das Prinzip Nashorn ist einer der fruchtbarsten Einfälle dieses Zeichners und Schriftstellers: Denn anstatt über Erfindungen, wie Ludwig Wittgenstein empfohlen hatte, ein Schweigegebot zu verhängen, werden sie bei Sven Nordqvist Grund und Anlass zum Reden - sie sind Gestalten, in denen die Erfindung selbst zum Gegenstand der Erfindung wurde, und wie sollte man mit so etwas anders umgehen als argumentierend?

1 / 1
(Foto: Oetinger)

Sven Nordqvist: Eine Bilderreise. Aus dem Schwedischen von Maike Dörries. Oetinger Verlag, Hamburg 2016. 320 Seiten, 19,99 Euro.

Der Kater Findus schließlich ist selbst eine einzige Argumentationsfigur. Er ist es aus vielen Gründen: weil ein Tier nicht sprechen kann, weil eine Katze keine grünen Hosen trägt, weil ein Kater in grünen Hosen nichts über Muklas wissen kann, weil ein alter Mann mit Hang zur Bitterkeit kein geselliges Wesen ist. Der Kater Findus überwindet diese Hindernisse, indem er argumentiert und verhandelt. Seine Unterlegenheit dem alten Pettersson gegenüber (im schwedischen Original hat er den Namen zu "Pettsson" verkürzt, und allein in dieser Verballhornung liegt ein Triumph der Sprache) gleicht er durch Geist und Witz aus. Dabei sind ihm viele Mittel recht, die Bestechung ebenso wie die moralische Erpressung. Am erfolgreichsten ist er jedoch jedes Mal, wenn er Pettersson mit den Mitteln der Logik zu fassen bekommt, und das heißt: wenn er ihn eines Widerspruchs überführen kann. Ludwig Wittgenstein hatte behauptet: "Dass die Sonne morgen aufgehen wird, ist eine Hypothese; und das heißt: wir wissen nicht, ob sie aufgehen wird." Der Kater Findus hätte den Philosophen zwar nicht ausgelacht, ihm aber ein paar Turnübungen mit doppeltem Überschlag dargeboten. Und er hätte ihn gefragt, ob nicht allein die Tatsache, dass der Philosoph weiß, was er nicht weiß, ein Widerspruch in sich selbst ist.

Ludwig Wittgenstein war kein Architekt, aber er baute ein Haus: Es steht in Wien und ist ein Muster von ebenso großer wie sinnloser Präzision. Die Räume in diesem Hause sind hoch und weiß und weitgehend leer. Sie haben diese Gestalt, damit sich kein unordentlicher Gedanken darin niederlassen kann, weswegen am Ende gar kein Gedanke mehr darin zu Hause ist. Sven Nordqvist war tatsächlich Architekt gewesen, bevor er ganz zum Zeichner und Autor wurde. Auch er denkt in Räumen. Die Welt, in der sich Pettersson und Findus bewegen, ist ein solcher Raum. In ihrem Mittelpunkt steht ein kleines rotes Holzhaus nebst Schuppen und Klohütte, und sie ist vollgestopft bis obenhin. Sie ist ein Raum zum Denken.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: