Schweden:Bildung und tragischer Zwist

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Die Göteborger Buchmesse findet jedes Jahr im September statt und ist die größte derartige Veranstaltung im europäischen Norden. Diesmal sorgte ein Nazi-Aufmarsch für einen Skandal.

Von Stephan Opitz

Die Göteborger Buchmesse findet jedes Jahr im September statt und ist die größte derartige Veranstaltung im europäischen Norden. Relativ betrachtet, also gemessen an der Einwohnerzahl Schwedens, ist sie mit etwa 100 000 Besuchern sogar größer als die Buchmesse in Frankfurt. Mehr als dreißig Mal fand sie bisher statt, doch in diesem Jahr war sie aufregender als gewöhnlich. Das lag zum einen am Thema der Messe: Bildung. An der Frage, was Bildung sei und wie man sie durchzusetzen habe, messen sich gegenwärtig alle Vorstellungen von der Zukunft der Nation, quer durch die Parteien. Zum anderen gab es nun schon zum zweiten Mal einen Streit um den Messestand der rechtsradikalen Zeitschrift Nya Tider (Neue Zeiten). Das Blatt ist nicht verboten, es erhält die in Schweden üblichen öffentlichen Mittel für Pressearbeit, und es kann ihm deswegen auch nicht die Messepräsenz verwehrt werden. Zum dritten kam es am Samstag der Messe zu einer Demonstration der schwedischen Nationalsozialisten, die unter dem Namen NMR ("Nordiska Motstandsrörelse" - "Nordische Widerstandsbewegung") eine völkische Revolution vorzubereiten meinen. Die Demonstration führte zu teils heftigen Straßenschlachten zwischen etwa 500 Rechtsradikalen, die den vorgeschriebenen Weg in Richtung Messe verlassen wollten, einigen Tausend Gegendemonstranten und einem großen Aufgebot von Polizei.

Der Präsenz von Nya Tider wegen hatten 200 Autoren zum Boykott der Messe aufgerufen. Nur wenige von ihnen wären allerdings als aktive Teilnehmer zur Messe eingeladen worden. Doch sorgen sich viele Autoren und Verleger nun um eine Zweiteilung der literarischen Welt: Kjell Westö, finnlandschwedischer Autor und mit einem neuen Buch auf der Messe, nennt den innerbetrieblichen Zwist "tragisch". Dass die Polizei die NMR habe demonstrieren lassen, gehe auf eine schmerzhafte Fehlbeurteilung der Lage" zurück, "genau wie die Entscheidung der Messeleitung für den Stand von Nya Tider".

Aris Fioretos, schwedischer, aber zum Teil in Berlin ansässiger Schriftsteller, urteilt mit Karl Popper: "Wenn eine Gesellschaft gegenüber offen intoleranten Menschen tolerant ist, geht das nicht gut für diese Gesellschaft aus."

Dem Thema Bildung widmete man sich mit großem Aufwand. In mehr als 400 Veranstaltungen redete und diskutierte alles, was die auch international vielfach gut vernetzte intellektuelle Szene Schwedens und der benachbarten nordischen Länder zu bieten hatte. Bildung, hatte die Messeleitung zu Beginn erklärt, sei im Vermögen der Literatur begründet, "an der Wirklichkeit einer anderen Person teilzuhaben". Sie verwirkliche sich "im Auftrag der Schulen, der Universitäten und Bibliotheken, Kenntnisse über die Welt und die Fähigkeit, diese Kenntnisse kritisch anzuwenden, zu vermitteln. Die Kraft der Kultur, die Erfahrung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, kommt dazu".

Dazu erläuterte Per Svensson, einer der bekanntesten Kulturjournalisten Schwedens: "Wenn Youtube weit mehr wahrgenommen wird als Tageszeitungen, dann muss ein Interesse an tatsächlicher Bildung sozusagen kontrarevolutionär sein". So etwas liege durchaus in seinem Sinn. "Bildung ist nie moralisch aufgeladen zu verstehen und sie ist vor allem eins: Ein stetiger Prozess, der so lange Leben und Menschheit dauern, anhält und als Entwicklung verstanden werden muss."

Zwar sind die Zahlen des schwedischen Buchhandels schon seit Jahren leicht rückläufig: Vier Prozent vom Umsatz waren es zwischen 2015 und 2016. Keineswegs aber kann mit solchen Zahlen ein Verlust an Bildung begründet werden, zumal den geringer werdenden Umsätzen eine steigende Zahl an veröffentlichten Titeln entgegenstehen und der Buchhandel in Schweden eine nach wie vor starke Position besitzt - Verlagsumsätzen in Höhe von einer Milliarde Euro stehen nur gut neun Millionen potenzielle Leser gegenüber. Wie viele von diesen sich dann allerdings hauptsächlich mit Kriminalromanen befassen: Das will man, angesichts Hunderter neuer schwedischer Kriminalromane, die auf der Messe präsentiert wurden, dann doch nicht so genau wissen.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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