Schriftstellerkorrespondenz:Maskenball und Blütenstaub

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Ohne sie hätte er keinen seiner Romane geschrieben: Zum Abschluss der Werkausgabe erscheinen die Briefe Vladimir Nabokovs an seine Frau Véra erstmals auf Deutsch.

Von Nicolas Freund

Schriftstellerehen sind eine heikle Angelegenheit. Das lässt sich wahrscheinlich über viele Ehen und Partnerschaften sagen, aber die meisten Beziehungen sind nicht so ausführlich in Romanen, Briefen und anderen potenziellen Racheinstrumenten dramatisiert und dokumentiert wie die von Menschen, die sich zum Schreiben berufen fühlen. Prekäre Finanzen, Affären und exzentrische Angewohnheiten gehören zum Klischee schriftstellerischer Existenz und all das findet sich auch in den Briefen Vladimir Nabokovs an seine Frau Véra, die nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erscheinen.

Der Band bildet zugleich den Abschluss der deutschsprachigen Nabokov-Werkausgabe, und wie bei fast allen Gesamtausgaben stehen auch hier die nicht-fiktionalen Texte, in Nabokovs Fall vor allem seine Vorlesungen und die Briefe, ganz am Ende der Reihe, als wären sie eine Art Apparat zu den viel wichtigeren Romanen, Dramen und anderen fiktionalen Texten. Dass diese institutionelle Einteilung ein Stück weit Konstrukt bleiben muss, zeigen diese Briefe aus sechs Jahrzehnten. Denn sie zeichnen das Bild einer Ehe, die ohne den fließenden Übergang von Fiktion und Wirklichkeit eine andere gewesen wäre.

Gleich die erste Begegnung Nabokovs und Véras führt hinein in die ganz eigene Welt, in der diese Briefe entstanden. Die Familie Nabokoff, damals noch nicht mit einem V am Ende geschrieben, war 1918 vor der Oktoberrevolution erst auf die Krim, dann nach Europa geflüchtet. Der junge Vladimir studierte im englischen Cambridge und zog dann nach Berlin, wo er am 8. Mai 1923 auf einem Wohltätigkeitsball der kulturell äußerst aktiven exilrussischen Gemeinde Véra Slonim kennenlernte. Sie war 21, er 24 Jahre alt.

"Von zuhause schreiben sie mir über rätselhafte Blumen. Du bist entzückend ..."

Den ersten Brief schickte er Ende Juli von dem französischen Landgut aus, in dem er den Sommer verbrachte: "Ich will es nicht verhehlen: Es ist mir so ungewohnt - nun, verstanden zu werden vielleicht, - so ungewohnt, dass ich in den allerersten Minuten unserer Begegnung dachte: Das ist ein Scherz, die Täuschung einer Maskerade ... Doch dann ... Und es gibt Dinge, über die sich schwer reden lässt - durch die Berührung mit einem Wort verwischt man ihren wundervollen Blütenstaub ... Von zuhause schreiben sie mir über rätselhafte Blumen. Du bist entzückend ...".

Vladimir Nabokov fehlen die Worte. Nein, nicht ganz, Blumen und Blütenstaub fallen dem damals schon von Schmetterlingen begeisterten jungen Dichter ein. Und wie entzückend sie ist. Fehlen sollten ihm die Worte später nie mehr, denn nicht nur folgen auf diesen ersten Brief 800 Seiten "an Véra", auch ringt hier natürlich der Schriftsteller Nabokov, der damals noch vor allem unter dem Pseudonym W. Sirin schrieb, nicht wirklich mit den Worten. Vladimir und Véra trafen sich bei einem Maskenball und scheinbar nahtlos setzt sich die Maskerade, die Nabokov auch beiläufig erwähnt, im Briefwechsel fort. Der verliebte Schriftsteller spielt mit seiner Rolle und kokettiert mit dem Verblassen seiner Worte gegen die Anmut der Geliebten.

Obwohl es in vielen der späteren Briefe um Alltägliches geht - Vereinbarungen, die getroffen werden müssen, Rechnungen, Termine mit Verlegern und Journalisten, Gesundheit, Verwandte und Freunde -, zeigt sich in fast jedem der Rang Nabokovs als Autor. Sein Stil ist makellos und in den wenigen Fällen, wenn er es nicht ist, entschuldigt er sich für die Schludrigkeit. Lange und ausführlich berichtete er Véra von allen Treffen mit Exilrussen, Verlegern und Dichtern in Berlin, aber auch immer, welche Kleidung er trug und was es wo zu essen gab, um sie über die Zeiträume der Trennung hinweg an seinem Alltag teilnehmen zu lassen. Die Briefe sind auch eine fragmentarische Biografie. Selbst das mittägliche wiederkehrende Pensionsmenü nimmt bei Nabokov Züge eines Refrains an: "Kirschkaltschale (sehr lecker), Fleisch in Kohlwindeln und etwas, das wie kandierte Ananas aussah - es erwies sich als Rübenkompott."

In Prag, einem weiteren Hauptort der russischen Emigration, lebte Nabokovs Mutter. Dort beobachtet er das winterliche Treiben: "So sieht es aus: das breite Weiß der Moldau, und durch dieses strahlende Weiß kreuzen kleine schwarze Silhouetten von Menschen von einem Ufer zum anderen, wie Notenzeichen. So zieht beispielsweise die Figur eines Jungen ein Dis hinter sich her: einen Schlitten." Wenige Tage später streift er durch das nächtliche Prag, - "ein Abend direkt aus einem flämischen Gemälde, bewegungslos in trägem Nebel" - beschreibt ein Kirchenportal, freut sich über die Fratzen der Figuren und vermutet in den karikaturenhaften Gesichtern eine Rache des Bildhauers an geizigen Auftraggebern, bevor er sich durch den Schnee auf den Heimweg macht. "Nur an einer Stelle war auch ein purpurrotes Lichtchen zu sehen, ein Tropfen Granatapfelsaft." Zwei Jahre später wird er diese Szene einer eingeschneiten Stadt sehr ähnlich als Beginn der Kurzgeschichte "Iwan Wernych" verwenden, die aber unvollendet blieb, da sie nach wenigen Zeilen, innerhalb eines einzigen Satzes, in einen Brief an Véra übergeht.

Véra und das Schreiben sind für Nabokov nicht zu trennen. Zu dem Schriftsteller Mark Aldanov sagte er: "Ohne meine Frau hätte ich keinen einzigen Roman geschrieben." Aber er schrieb auch in demselben Brief an Véra: "Aldanov durchschaut nicht immer, wann ich etwas zum Spaß sage und wann nicht." Wer durchschaut das schon? Nabokovs Fiktionsbegriff nimmt in manchen Fällen eine Totalität an, die beim skeptischen Abklopfen aber bald zu bröckeln beginnt, bis nach langer, zweifelvoller Arbeit ein schillernder, kristallener Kern bleibt. Den zu finden ist nicht immer einfach, denn zum Teil besteht er aus eben dieser Arbeit.

Obwohl es noch viele Beispiele über die Verwickelung von Wirklichkeit und Fiktion in "Briefe an Véra" gäbe, waren es doch immer ganz reale Krisen, genauer eine Depression Véras Mitte der Zwanzigerjahre, und 1937 eine Affäre Nabokovs mit der Hundefriseurin Irina Guadanini, während denen die meisten Briefe entstanden. Nabokovs und Véras Einstellung zur Veröffentlichung der Briefe ist nicht ganz klar, Dmitri Nabokov, der Sohn der beiden, hatte aber noch bis zu seinem Tod 2012 an der Ausgabe mitgewirkt. Hier liegt das einzige Problem dieses Bandes: Aufgrund der kaum allgemein verfügbaren Ausgangstexte handelt es sich im Deutschen um eine Übersetzung der bereits aus dem Russischen übersetzten amerikanischen Edition. Es ist also zu befürchten, dass bei dieser doppelten Übertragung, obwohl sie mit den russischen Originalen abgeglichen worden sein soll, manches verloren gegangen ist.

Und die hier versammelten Briefe sind nicht vollständig. Denn Véra hatte alle ihre Antworten vernichtet und manche, etwa die Briefe vom Oktober und November 1932, existieren als Quelle lediglich in Form vorgelesener Tonbandaufnahmen Véras. Einen Brief bricht sie ab mit: "All das ist für Sie nicht von Interesse", wie der Kommentar verrät. Der Rest aber ist von großem Interesse. Am 3. Mai 1965, das Paar ist nach vielen Jahren in den USA in die Schweiz übersiedelt, schreibt Nabokov an Véra: "Meine Liebste, ich wollte Dir Orchideen schicken, aber es gab keine. Gegen Mittag werde ich da sein."

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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