Schottische Literatur:An den Himmel rühren

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Der neue Roman von John Burnside, "Ashland & Vine", ist sentimental und hellsichtig zugleich.

Von Thomas Steinfeld

Ein sentimentaler Mensch, sagt Oscar Wilde, sei eine Art Zechpreller des Gefühls: "simply one who desires to have the luxury of an emotion without paying for it" ("einer, der den Luxus eines Gefühls begehrt, ohne dafür zu zahlen"). Man versteht, was Oscar Wilde meint, der merkantilistischen Metapher zum Trotz: all die künstlerischen Werke, die trivialen Romane, die süßen Lieder, die Bilder mit Sonnenuntergang, die ihren "Konsumenten" erlauben, sich dem Genuss von Empfindungen hinzugeben, die sie nicht durch Erfahrungen, geschweige denn Taten haben erwerben müssen - Abstauber gewissermaßen, die ihre Taschentücher nassweinen, weil sie ein Gefühl aus zweiter oder dritter Hand erworben haben. Doch geht der kulturkritische Impuls, so populär er ist, hier fehl: Man muss nicht, wie Leonore, die Heldin in "Fidelio", tatsächlich politische Gefangene befreien wollen, um sich von Beethoven mit Wohlgefallen durch die Freuden und Schrecken dieser Oper führen zu lassen. Sentimentalität ist bei Weitem nicht nur dem Schund vorbehalten.

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